Meine erste Rolle CINESTILL 800T

Besser als gedacht!

Die erste Rolle CINESTILL 800T hat es mir nicht leicht gemacht. Gleich beim ersten Ausflug zum Allacher Rangierbahnhof (Rbf) kam es zu einer Panne. Der Drahtauslöser ging entzwei. Folglich musste ich mit dem Finger gefühlte bzw. geschätzte drei Sekunden direkt auf den Auslöser drücken. Der halbe Film war danach verbraucht und ich spürte einen unspezifischen, dumpfen Druck im Hinterkopf.
Ein weiterer Ausflug mit dem CINESTILL 800T zur örtlichen Tankstelle zwei Tage später  endete ebenfalls mit einer unguten Vorahnung, weil der dabei ebefalls fotografierte digitale Zwilling auch nichts Brauchbares hervorbrachte.
Zuletzt ging es in die Stadt. Da ich wieder mal zu faul war das Stativ aufzustellen, fotografierte ich eben ohne Stativ. Bei Blende 2.0 und Belichtungszeiten von 1/15 s oder 1/30 s musste ich jedoch eher verwackelte und unscharfe Ergebnisse erwarten.
Vorgestern habe ich dann die entwickelten Negative vom Labor abgeholt und gescannt. Die Ergebnisse haben mich entgegen aller unguten Gefühle positiv überrascht.

Kamera:

Objektiv(e):


Filmsimulation:

Film:


sonstige Ausrüstung:

Minolta XD7

Minolta Rokkor 50mm 1:1.4


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CINESTILL 800T


Verschiedenes

Was ist eigentlich CINESTILL 800T?


CINESTILL 800T basiert auf dem KODAK VISION 3, einem Film der üblicherweise in Filmkameras eingesetzt wird. KODAK VISION 3 ist ein Kunstlichtfilm, der auf das Licht von Wolfram-Lampen (3200K) abgestimmt ist. Cinefilme wie der VISION 3 verfügen zusätzlich zu der lichtempfindlichen Beschichtung über einen weiteren sog. remjet layer. Der remjet layer schützt den Film u.a. vor elektrostatischer Aufladung, Kratzern und Lichthöfen um Spitzlichter. Man muss sich nur einmal vorstellen, mit welcher Geschwindigkeit so ein Film durch die Kamera "rauscht".

KODAK VISION 3 kann aufgrund des remjet layers nicht in herkömmlicher C-41 Chemie entwickelt werden. Der remjet layer würde die C-41 Chemie kontaminieren und unbrauchbar machen. Die Firma CINESTILL hat sich daraufhin entschlossen, den KODAK VISION 3 vom remjet layer zu befreien und ihn in handelsübliche 36er-Filmpatronen zu verpacken. Das Ergebnis ist der CINESTILL 800T, ein Kunstlichtfilm mit Cine-Effekt. Das 'T' steht für Tungsten, Wolfram! Aufgrund des fehlenden remjet layers kann der CINESTILL 800T nun einfach im C41 Prozess verarbeitet werden. Gleichzeitig erhält man aber seltsame, rote Lichthöfe um Spitzlichter herum. Das nennt man halation. Der engl. Begriff verbessert zwar nicht den Fehler, aber klingt immerhin fancy...


Und die Ergebnisse?


Das Korn ist grob, sehr grob. Von einem 800er Film kann man jedoch auch nicht viel anderes erwarten. Bei der Verarbeitung bin ich dem mit reduzierter clarity begegnet. Auch wenn die roten Lichthöfe um Spitzlichter mich manchmal an die Kruziform aus Dan Simmons Hyperion-Gesängen erinnern, so stehen sie doch in angenehmen Kontrast zum eher cyanlastigen Gesamteindruck in den mittleren Tonwerten.

Zunächst waren die Aufnahmen etwas grünstichig. Das scheint ein Einfluss des 'sehr' roten Acetat-Trägers zu sein und lies sich durch das fast völlige Entfernen von grünen Farbtönen während der digitalen Bildverarbeitung beheben.

Und plötzlich liegen ganz erstaunliche Ergebnisse vor mir. Auf den Fujifilm-Kameras habe ich so einige JPEG-Rezepte implemetiert, die sich CINESTILL schimpfen, aber an das Original reichen sie in keiner Weise auch nur annähernd heran. Während sich andere Filme sehr gut in der Digitalkamera simulieren lassen, stößt man beim CINESTILL 800T an unüberwindbare Grenzen. Ich wüsste z.B. nicht, wie man die halation erzeugen sollte bzw. im Zuge einer digitalen Nachbearbeitung erzeugen könnte. Auch die Farbbalance scheint von einer anderen Welt zu sein, obwohl man das sicher mit einiger Anstrengung im Post-Processing doch auch hinbekommen könnte. Der teure und schlecht verfügbare CINESTILL 800T scheint in jeder Hinsicht alternativlos zu sein.


Und was ist jetzt mit den Bildern?


Eine Aufnahme vom Allacher Rbf hat es in das night&sky-Teilprojekt von Projekt 12 geschafft. Es war weder das Motiv selbst noch irgendein besonderes Detail der Aufnahme. Vielmehr hat mich der "überirdische" Farbkontrast sofort gefangen genommen.


Und weil es sich ja hier um Filmfotografie handelt, könnte sicher auch ein Bild in das Filmfotografieteilprojekt von Projekt 12 wandern, oder? Nicht nur eines, sondern sogar drei! Zwei Bilder spiegeln für mich das cineastische Konzept der liminal spaces hervorragend wieder. Und dann ist da noch das Bild mit den beiden "Ufos"...


Das mit dem CINESTILL 800T werde ich wieder probieren, dann aber mit mehr Gelassenheit und Vorfreude auf die außergewöhnlichen Ergebnisse.

Zing • 26. Februar 2023