Projekt 12

Ein Fotoprojekt für die nächsten 12 Monate

Das Fotoprojekt des Jahres 2022 Nur-Schwarzweiß endet offiziell heute Nacht. Die großen Projekte der beiden vergangenen Jahre hatten jeweils zum Ziel, dass ich meine Fähigkeiten auf einem ganz bestimmten Gebiet der Fotografie weiterentwickeln kann. Mit den gewählten Themen (sooc, sw) konnte man gut ein ganzes Jahr füllen. Mal schauen, was ich sonst nicht kann und wie man damit ein ganzes Jahr füllen kann...


Als ich die Bilderkataloge des vergangenen Jahres auswerte, stelle ich fest, dass kaum Aufnahmen mit Weitwinkelobjektiven entstanden sind. Die Erklärung dafür ist einfach. Weitwinkelaufnahmen müssen umsichtig und sorgfältig komponiert werden. Der Vordergrund muss stimmig sein, darf weder zu groß noch zu klein abgebildet werden. Nichts sollte in das Bild ragen, was dort nicht hingehört. Der Kamerastandpunkt muss geeignet gewählt werden, damit die Weitwinkelperspektive zur Geltung gelangt. Schon beim Lesen bekommt man einen Eindruck davon, wie viel Mühe und Zeit es für eine gelungene Weitwinkelaufnahme bedarf.

Die schönen Weitwinkelobjektive stehen meist daheim herum, weil ich nicht die Geduld für die Weitwinkelfotografie habe.


Meine Fähigkeiten in der Nutzung von Weitwinkeloptiken sind ausbaufähig. Soll ich deshalb aber ein ganzes Jahr lang nur mit Weitwinkelobjektiven fotografieren?


Die Arbeit mit einer digitalen Mittelformatkamera unterscheidet sich grund-legend von der mit DSLM mit APS-C-Sensor. Der große Sensor zeigt gnadenlos jedes Detail des Motivs, aber wenn der Fokus nicht sitzt, ist da auch nicht mehr viel mit Abblenden zu retten. Schärfentiefe ist ein knappe Ressource! 

Die Dateien einer Mittelformatkamera mit 50 MP sind riesig. Gedankenloses Herumprobieren sollte man schon deshalb vermeiden, außer man ist Besitzer der unendlichen Speicherkarte....

Die teure Mittelformatkamera ist zu schade für die schnelle Fotonummer und sollte lieber für die ganz große Fotokunst hergenommen werden. Wie das aber so mit der Kunst ist, erfordert diese neben Leidenschaft und Intuition auch Zeit, Mühe, Geduld und Können.


Meine Fähigkeiten in der Anwendung der "Dicken Bertha" sind ebenfalls ausbaufähig. Soll ich deshalb aber gleich ein ganzes Jahr lang nur mit der Mittelformatkamera arbeiten? Was würden die kleinen Kameras davon halten?


Dem Genre Night&Sky habe ich im vergangenen Jahr definitiv zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ich könnte jetzt viele Erklärungen vorbringen, warum das so war. Letztendlich wären es doch nur fadenscheinige Ausreden. Zu kalt, zu dunkel, heute keine Lust aber morgen usw.


Dabei ist es doch so einfach, nach der Arbeit nicht sofort nach Hause zu fahren, sondern mit der Kamera noch einen Ausflug zu den Lichtern der Stadt zu unternehmen. Zugegeben, während der gegenwärtigen Energiespar-euphorie geht auch der Stadt irgendwann das Licht aus. Aber wenn Du denkst es geht nicht mehr, dann kommt von irgendwo ein Lichtlein her...


Meine Fähigkeiten auf dem Gebiet der Nacht- und Dämmerungsfotografie möchte ich gerne ausbauen. Soll ich aber deshalb im nächsten ganzen Jahr nur noch zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang fotografieren dürfen?


Auch nach einem Jahr Schwarzweiß bin ich mit Schwarzweiß noch nicht fertig. Die Schwarzweißfotografie bietet unendliche Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks: Reduktion, Abstraktion, Hervorheben von Mustern und Formen uvm.


Ich hatte ja schon in meinem Projektreview festgestellt, dass es in dieser Form der Fotografie noch Luft nach oben gibt, vor allem was die Visualisierung, also die gedankliche Vorwegnahme des farblosen Endergebnisses, anbelangt.


Auch die Fähigkeiten in der Schwarzweißfotograffie könnte ich weiter ausbauen. Soll ich deshalb aber gleich noch einmal ein ganzes Jahr Schwarzweiß dranhängen?


Ein paar alte Objektive (vintage lenses) stehen im Regal und werden langsam von Hausstaub gleichmäßig zugedeckt. Einige sind Linsen für meine verehrte MINOLTA XD7. Andere sind Russen- oder Ossischerben mit M42-Anschluss und einer Menge kreativ nutzbarer Abbildungsfehler (bubble bokeh, background swirl). Die Arbeit mit diesen alten Linsen macht Freude und birgt so manche Überraschung. Das Bild mit den scharfen Schneckenaugen ist z.B. nur deshalb entstanden, weil sich im richtigen Moment eine Feder im Blendenmechanismus gelöst hatte.


Die vintage lenses haben einfach Charakter und fügen dem Bild das gewisse Etwas hinzu. Das kann bis heute noch kein Computer leisten kann. Um aber die Leistungsfähigkeit der alten Objektive voll ausschöpfen zu können, muss man oft üben, vieles ausprobieren und reichlich Geduld mitbringen.


Meine Fähigkeiten zur Verwendung von vintage lenses könnte ich auch erweitern. Soll ich deshalb aber gleich ein ganzes Jahr lang ausschließlich mit den z.T. über 50 Jahre alten Objektiven arbeiten? Nennt man das dann feinoptische Gerontologie?

In meinem Kühlschrank lagert mehr Film als Bier. Im vergangenen Jahr habe ich gerade einmal drei 36er Rollen Film verschossen. Dabei ist die Arbeit mit Film so herrlich entschleunigend. Weil Film samt dem nachgelagerten Verarbeitungsprozess mittlerweile so teuer geworden ist, macht man sich auch mehr Gedanken, bevor man den Auslöser ganz durchdrückt. Der zweite Versuch kosten im Durchschnit immer einen EURO...


Film mahnt zur Geduld. Film verlangt das Abwarten des richtigen Moments, des richtigen Lichts, der richtigen Szene. Digital macht man ja ganz gerne mal ein paar Probeaufnahmen vor dem endgültigen Foto. Mit Film geht das eben nicht.


Film hat richtiges Korn! Richtiges Korn kann man nicht mit dem vergleichen, was Software oder Digitalkameras als digitales Korn nachträglich über das Bild überbügeln. Richtiger Film hat auch Macken und Fehlstellen. Die hat der digitale Sensoren zwar auch, aber die Kameraelektronik korrigiert diese. Es entsteht ein aalglattes Foto ohne Fehl und Tadel. Mit Film passiert so etwas nicht!


Meine Fähigkeiten in der Filmfotografie könnte ich auch vertiefen. Soll ich deshalb aber ein ganzes Jahr lang ausschließlich auf Film fotografieren? Würde Kodak dann endlich Aerochrome zurück auf den Markt bringen?

Überhaupt, ich fotografiere zu viel. An manchen Tagen, auf manchen Bergtouren entstehen über 150 Bilder. Das sind dann viele Fotos, aber sind sie auch gut? Schaue ich mir den ganzen Kram überhaupt noch einmal an? In meiner Collection 2022 sind derzeit über 2.000 bearbeitete Bilder. Der Bildschirmschoner meines PCs ist mit der Wiedergabe aller Bilder längst überfordert. Es ist einfach zu viel! Ich müsste mich in Verzicht üben und den Auslöser öfter mal ungedrückt lassen. Ich sollte nur noch fotografieren, was wirklich ein gutes Bild werden könnte.


Meine Fähigkeiten im Verzicht auf Fotos könnte ich entwickeln. Soll ich deshalb aber ein ganzes Jahr lang auf's Fotografieren verzichten? Soll ich nur noch mit den Augen fotografieren, oder gar mit dem Herzen?



Bis jetzt war noch nichts dabei, was man zu einem vernünftigen Fotoprojekt 2023 entwickeln könnte. Ich brauch jetzt erts einmal Tee...


...und beim Tee kommt mir dann die Idee zu Projekt 12.

Beginnend ab 12/2022 sollen im kommenden Jahr folgende 12/2 Teilprojekte umgesetzt werden:


  • innerhalb von 12 Monaten sollen 12 ausgewählte Bilder mit einer KB-Äquivalentbrennweite <36mm entstehen (Weitwinkelprojekt)
  • innerhalb von 12 Monaten sollen 12 ausgewählte Bilder mit der GFX50SII entstehen (Mittelformatprojekt)
  • innerhalb von 12 Monaten sollen 12 ausgewählte Bilder bei Nacht oder Dämmerung entstehen (night&sky-Projekt)
  • innerhalb von 12 Monaten sollen 12 ausgewählte Bilder in Schwarzweiß entstehen (Schwarzweißprojekt)
  • innerhalb von 12 Monaten sollen 12 ausgewählte Bilder mit vintage lenses entstehen (Altglasprojekt)
  • innerhalb von 12 Monaten sollen 12 ausgewählte Bilder auf Film entstehen (Filmfotografieprojekt)


Ein Bild kann immer nur in einem einzigen Teilprojekt verwendet werden. Nachts mit Altglas auf Film zu fotografieren gilt also nicht für drei Teilprojekte!


  • Um auch den gezielten Verzicht auf die Auslöserbetätigung zu trainieren, sollen pro Bergtour und Tag nur noch maximal 12 Bilder entstehen.


Und in 12 Monaten werden wir sehen wie sich Projekt 12 entwickelt hat.

Zing • 30. November 2022