Klettertour - Über die Reindlkante auf den Laberkopf

Nicht nachmachen!

Wolfgang führt nun schon seit geraumer Zeit ein aufregendes Rentnerleben. Zeit hat er kaum noch und so musste ich sehr lange darauf warten diese Klettertour mit ihm zu unternehmen. Der Jentzsch-Clan weist die Kletterei über die Reindlkante in der gedruckten Literatur sogar nur als Halbtagestour aus. Zum Glück haben wir heute mehr Zeit.


geografische Einordnung:


erreichte Gipfel:

weitere Wegepunkte:

Talort(e):


Schwierigkeiten:

Höhendifferenz Aufstieg/Abstieg:

Distanz:


Zeitbedarf inkl. Pausen:

Ammergauer Alpen


Laberkopf 1.411m

Laber Alm

Parkplatz Laberbergbahn


Wandern: T4-       Klettern UIAA: IV        Klettersteig: -/-         Schneeschuhe: -/-

560m / 560m

270m Kletterlänge


06h30m

Um 08:00 Uhr steht die Luft bereits. Wegen des G7-Gipfels kreisen mehr Hubschrauber als Bremsen durch die Luft. Wir zweigen schulmäßig am großen Felsblock ab, hinauf in den Wald. Vorher müssen wir jedoch noch einen Limbo unter dem Elektrozaun absolvieren. So können sich Waldboden und Schweiß zu einer natürlichen Hautpflegelotion verbinden.
 

Am Ende der ersten steilen Waldschneise überquert man einen Forstweg, nur um dann wieder in einer noch steileren Waldschneise weiter zum Einstieg zu gehen.

Ja, das mit dem Einstieg ist keine Ruhmestat gewesen. „Einstieg in einer Nische“, gibt die Führerliteratur dazu her. Ich hingegen bemerke erst als ich über einen Baumstamm aufwärts klettern muss, dass das nicht ganz stimmen kann. Wolfgang hilft und biegt sofort nach rechts ab, noch höher und irgendwie auch tiefer in den Wald, leider ohne Ergebnis. Zurück auf Anfang!

‚R ↔ c ‘ ist krakelig auf einen Stein gepinselt worden. Ah, jetzt, ja, ein Einstieg. Da stehen wir also in unserer Einstiegsnische und bestaunen den Einstieg. Nach nur 50 cm hänge ich mal lieber gleich die Angstexe in den allerersten Bohrhaken. Ich versuche es kurz gebe dann aber mit zittrigen Knien gleich auf. Ich muss mich kurz versammeln. Dann starte ich erneut.

Links befindet sich ein brauchbarer Griff. Mit dem linken Fuß schubbere ich etwas höher. Der rechte Fuß schwingt auf einen schrägen Tritt. Beide Arme sind jetzt schon angewinkelt und ich spüre wie die Muskeln heiß laufen. Da rechts wäre ja ein guter Griff, aber der Arm ist zu kurz. Ich kann den linken Fuß noch einmal 10 cm höher abstellen. Jetzt erst ist der befreiende Griff nach rechts in den riesigen Henkel möglich (4). Ein Bohrhaken und zwei Schlaghaken auf 1,50 m Kletterstrecke. Die mittlere Exe nehme ich heraus, um später weniger Zug auf dem Strick zu haben.
Auf dem Absatz angekommen, balanciert man nun sehr einfach zurück zur Kante (1) und stößt auf eine Felsstufe. Nicht sofort darüber, sondern erst einmal nach rechts weiter (2+), um dann mit einem beherzten Griff in eine armdicke Wurzel die Kante letztlich zu überklettern (3+). Ich sehe den nächsten Standplatz schon, erreiche ihn aber nur schwerlich, weil das Seil durch den ganzen Zickzack kaum noch flüssig läuft. Dann verhängt sich der Strick auch noch in einer Wurzel…

Nach einer gefühlten Ewigkeit haben wir uns endlich zum Start in die 2. SL versammelt. Ziemlich direkt geht es gerade hoch (3+). Danach geht es jedoch leicht (1) weiter. Zwischensicherungen kann man hier gut in der zahlreichen Botanik anbringen. Unter einem liegenden Baustamm krieche ich hindurch und hoffe, dass Wolfgang später nicht drüber klettert.

 Krise! Der Start in die dritte Seillänge ist unklar. Die verschwitzte Kopie aus dem Buch sagt zwar links von der Kante, aber nachdem ich auf einem abschüssigen Band um die Kante herum gezirkelt bin, muss ich feststellen, dass alles Weitere meine Fähigkeiten übersteigt. Ich taste mich zurück, was sich nach dem aushängen der letzte Exe sehr seltsam anfühlt.

Wir versuchen unser Glück jetzt auf der anderen Seite, leicht rechts vom Standplatz. In einem Spalt kann ich einen 0.5“ Friend versenken. Das könnte schon mal helfen. Erst im dritten Anlauf, nachdem wir weiter unten eine weitere Seilschaft hören und Wolfgang zaghaft fragt, ob er es mal versuchen solle, gelingt mir der Fortschritt. Man muss sich an dieser Stelle an einem einzigen, schräg verlaufenden Hintergriff einhängen und mit dem rechten Fuß so weit wie möglich nach oben schieben. Dann kann man dem linken Zeh sehr hoch auf einen winzigen Vorsprung treten. Jetzt dreht man den Körper nach rechts und sucht mit dem rechten Fuß einen etwas größeren Tritt auf der Kante eines Überhangs. Der schräge Hintergriff ist jetzt aber bereits nicht mehr auf Zug. Man muss blitzschnell eine Griffalternative finden, bis man sich endlich etwas entspannter aufrichten kann. Eine Schlinge um eine knorrige Latsche gibt mir die notwendige Sicherheit für den noch erforderlichen Spreizer über einen leicht abweisenden Spalt (4). Ab hier geht es zu meiner Erleichterung in leichter Humus- und Schrofenkletterei (2) weiter zum nächsten Standplatz. Es dauert auch ein wenig, bis Wolfgang endlich nachkommt. Oft muss ich das Seil nur in 5 cm großen Schitten einholen. Viele Tourenberichte und auch die Literatur beschreiben den Einstieg als schwierigste Stelle der Tour. Ich persönlich empfand den Start in pitch #3 noch etwas schwieriger.

Die 4. Seillänge ist dann endlich der erwünschte Genuss. Am scharfen Ende des Seils kommt direkt auf der Reindlkante noch einmal ein besonderer Thrill auf (3+ u. 4-). Gute Griffe sind spärlich vorhanden. Man muss der Reibung der Reibungsklettersohle auf nacktem Fels schon vertrauen können…

Und dann ist auch schon die schönste Seillänge der Führerliteratur zu Ende. Ganz anders als sonst, kommt Wolfgang nach und spricht mir seine Anerkennung ob der bewältigten Schwierigkeiten aus. Normalerweise sagt er an solchen Stellen schon mal: „Das war ja höchstens ein 3er, eher 3-.“
Der weitere Weg zum Laberkopf wird in Tourenberichten oft kaum erwähnt. Die innere Einstellung „Spaziergang“ ist aber völlig fehl am Platze.

Ja, doch, zunächst geht man wirklich, z.B. durch das kleine Felsenfenster. Auch danach geht man noch weiter – wir übrigens am kurzen Seil, weil ja später noch der letzte Gratturm zu überklettern ist und keiner weiß, ob wir dann noch die notwendigen Knoten könnten.

Auch das schönste Gehen endet einmal. Eine kleine Stufe (3m) muss leicht (2) erklommen werden. Dann gelangen wir zu einem größeren Block, an dessen Spitze sich eine Sanduhr befindet. Schon klar, an dem Block vorbei ist es nicht schwierig (2), aber wenn man an dem Block vorbei nach unten schaut, dann kommt zunächst viel Luft, dann noch einmal mehr Luft und irgendwann, von hier nicht einsehbar, bestimmt auch Baum, oder zwei, oder ganz viele... Wer weiß das schon?

Am Ende des Gratblocks lehnt ein weiterer böser Block an. Ich denke gerade noch, dass mich das irgendwie an Heini Gütls Vorwärts-Abstiegs-Dreier von der Großen Zinne erinnert, da spricht es der Wolfgang auch schon aus. Commonsense oder auch ‚zwei Doofe, ein Gedanke‘!

Über den letzten Gratkopf muss noch ein letztes Mal geklettert werden. Mein Plan: den 3er-Aufschwung hinauf und oben einen Zwischenstand einrichten. So ein Blödsinn!
Nach knapp 4 m findet das Aufwärtsklettern bereits ein Ende. Man steigt gar nicht direkt auf den Kopf. Vielmehr tastet man sich über ein brüchiges Band luftig nach unten (2). Der letzte Bohrhaken aus dem Topo hängt zwei Meter höher als gedacht bzw. dargestellt und ist somit unbrauchbar. Wie heute schon so oft, sichere ich Wolfgang von einer bombenfesten Krüppelkiefer aus. Geschafft!

Und jetzt erstmal richtige Bergschuhe anziehen für die letzten Meter im Gras auf den Laberkopf.

Wir schauen Polizeihubschraubern zu und sind überglücklich über die geschaffte Tour. Eine kurze Pause im Unterstand unterhalb des Gipfels. Wir bereiten uns auf den letzten, spannenden Moment vor: Die kurze Abseilstelle auf der Südseite des Laberkopfes.

Ich übersehe natürlich die hervorragende Kette und will schon wieder das Seil durch eine Krüppelkiefer fädeln. Zum Glück schaue ich mich noch einmal um und kann den vernünftigen Abseilstand nutzen. Die Strecke ist kurz. Den Knoten im Seilende liegen bequem im Gras und werden von Waldameisen angegriffen. Ich schätze mal ca. 16 m.

Wir wühlen uns noch durch das Unterholz, um möglichst ohne größere Umwege zur Laber Alm zu gelangen. Ein netter Mensch erklärt uns noch, wo wir hier frisches Wasser finden.
Ich erkläre es hier natürlich nicht. Ich bin schließlich auch nicht nett.

Wir begegnen noch Bauarbeitern mit Baggern. „Was macht ihr da?“ „Wir verlegen eine Steuerleitung.“ Während ich an Finanzamt denke platzt Wolfgang heraus: „Ah, für die Laberbergbahn!“
Ich hatte Steuerleitung vermutlich mit Putin und der Gasleitung verwechselt.

Die Wolken bedecken mittlerweile zu 8/8 den Himmel und es kommt Wind auf. Das Wetter schlägt heute noch um. Wir bekommen das jedoch nicht mehr mit, weil wir schon auf der Rückfahrt nach München sind. Plötzlich muss ich wieder an die Seilschaft denken, die nach uns eingestiegen war. Wo sind die eigentlich geblieben?

Resümee Reindlkante: Klettertour 4 und Bergsteigen T4-. Helm und persönliche Schutzausrüstung sind Pflicht. Ein 40m-Seil genügt, bei einem Rückzug könnte ein 50er jedoch nicht schaden.
5 Exen, ein 0.5“ Friend und drei 120er-Schlingen für Zwischensicherungen an Bäumen und Sträuchern.
Die Standplätze sind durchweg mit Bohrhaken versehen, z.T. ist dort auch eine Hintersicherung vorgesehen (Sanduhrschlinge oder Schlaghaken).
Einige Zwischenhaken sind vorhanden und dann gibt es ja auch noch Bäume und Latschen.
Ein nette Klettertour für geübte Kletter*innen. Für alle anderen gilt: Nicht nachmachen!


n.b.

Die Serie "Nicht nachmachen" enstand im Sommer 2022, als eine 100 Schüler starke Gruppe vom Berg gerettet werden musste, weil das Lehrpersonal einen hikr-Tourenbericht nicht korrekt interpretieren konnte. Irgend so ein selbsternannter wichtiger Hikr hat sich dann auch noch an meiner Satire "Nicht nachmachen"  gestört und deshalb schreibe ich jetzt mein eigenes Tagebuch, in dem außer mir niemand etwas kommentieren kann...


Zing • 29. Juni 2022