Kleinkaiser und Mitterkaiser

Nicht nachmachen!

Das östliche Kaisergebirge bildet eine Art von halbrunder Bucht, in der zwei markante Inseln liegen. Das ist zum einen der Mitterkaiser, der wie ein Wellenbrecher  tief bis auf den Grund des ehemaligen Thetys hinabreicht, und zum anderen der Kleinkaiser, der sich als pittoresker Kegel aus dem „Flachwasser“ erhebt. Heute ist es zum Glück trocken und ich habe mir in den Kopf gesetzt, die beiden Inseln zu besuchen.

geografische Einordnung:


erreichte Gipfel:

weitere Wegepunkte:

Talort(e):


Schwierigkeiten:

Höhendifferenz Aufstieg/Abstieg:

Distanz:


Zeitbedarf inkl. Pausen:

Kaisergebirge - Wilder Kaiser


Kleinkaiser 2.039m, Mitterkaiser 2.011m

Großes Griesener Tor, Fritz-Pflaum-Hütte

Parkplatz Griesner Alm


Wandern: T5-         Klettern UIAA: -        Klettersteig: -/-         Schneeschuhe: -/-

1.270m / 1.270m

13,0km


08h15m

Zugang zu diesen beiden Inseln erhält man leicht und zügig von der Griesner Alm über den Weg 815. Nach ca. zwei Stunden erreicht man bereits die Fritz-Pflaum-Hütte, die zum Ankerpunkt für die heutige Tour wird.

Zuerst wende ich mich dem Kleinkaiser zu, den man auf keinen Fall mit dem Kleinkaiserl verwechseln sollte, weil das ganz woanders liegt. Man geht zunächst noch ein Stückchen des Weges zum Kleinen Törl weiter. Nach ein paar hundert Metern verliert der Weg an einer markanten Felsstufe wenige Höhenmeter, um dann unter zwei Latschenfeldern mit einer breiten Schuttrinne mitten drin weiter auf das Kleine Törl zuzusteuern. Hier verlässt man den markierten Wanderweg, biegt nach rechts in die noch sehr breite Schuttrinne ab und begibt sich damit freies Gelände. Ich finde weder Spuren noch irgendwelche Hinweise auf den korrekten Weg. Einziger Anhalt ist eine markante Einschartung weit oben. Die Schuttrinne verjüngt sich dann zusehends – es wird schmaler, nicht etwa weniger alt – und man kann recht Kräfte schonend am rechten Rand (Das kann man jetzt auch wieder falsch verstehen.) an einer kleinen Felswand entlang aufsteigen. Die Schuttrinne findet ihre Quelle in einer markanten Scharte unter einer Felswand. Hier kann man gut die Stöcke, sofern man welche dabei hat, deponieren, denn ab hier muss man deutlich handgreiflicher werden …

Man biegt wiederum rechts ab, sehr steil nach oben über … ja, über was eigentlich? Schrofen? Dafür hat es zu wenige Felsen. Gras? Dafür hat es zu viele Steinchen. Nennen wir es einfach eine scheißbröselige Rinne. Hier hält nichts. Mehr als die Hälfte aller Steine und Felsen sind hier lose. Grasbüschel springen unvermittelt davon. Ich verdränge bewusst den Gedanken an den Abstieg, denn sonst würde ich jetzt schon am liebsten umkehren.
Ich steige in der scheißbröseligen Rinne bis ganz nach oben und das war schon fünf Meter zu weit. Kurz vor Ende der scheißbröseligen Rinne zweigt man besser nach rechts ab.

Einige schwache Begehungsspuren zeigen nun an, dass man tunlichst den steilen Grashang zu queren hat. Einen Sturz könnten dabei immerhin die Latschen unterhalb abfangen. Jenseits der Latschen geht es jedoch über hundert Meter in die Tiefe…

Nach diesem Quergang weisen die wenigen Spuren nach links oben und man sieht auch schon das Gipfelkreuz im Sonnenschein, sofern es nicht bewölkt ist. Zwischen zwei Felstürmen muss ich durch sehr steiles Gras (45°-55°) weiter hinauf. Das Gras ist noch feucht von der Kühle der Nacht und in den kleinen Trittmulden, auf denen man sich mit den Händen abstützen kann, lauern Disteln. Dann legt sich der Hang ein wenig zurück und in einem kleinen Schlenker ist der Gipfel des Kleinkaisers erreicht.

Viel Platz gibt es hier oben nicht. Eine Skatrunde hätte bereits Probleme einen Kreis zu bilden. Das wäre dann wohl eher eine Skatreihe…
Drüben aus den Törln ergießt sich lautstark frischer Steinschlag. Aus dem Ofenrohr der Fritz-Pflaum-Hütte steigt blauer Rauch auf. Hebemus Cafem?
Es ist zwar mittlerweile kurz vor 09:00 Uhr, aber auf der Hinteren Goinger Halt ist noch immer kaum etwas los. Ich muss noch ein paar Fotos machen, immer den Gedanken an den bevorstehenden Abstieg im Hinterkopf.

Das vorwärts Abwärts ist bereits im Steilgras wieder vorbei. Ich klammere mich an die Disteln und bin heilfroh, als ich endlich die Steilgrasrinne hinter mir gelassen habe. Der Grasquergang ist fast schon erholsam. Das ist auch gut so, weil ja gleich noch die scheißbröselige Rinne folgt. Man kann sich hier schließlich sehr schlecht festhalten, um sich z.B. einmal kurz hinauszubeugen und den nächsten Tritt zu finden. Stattdessen hängt ein Fuß stets frei in der Luft, nach einem möglichen Halt tastend. Als ich endlich wieder bei meinem Stockdepot angelange, bin ich um fünf Liter Angstschweiß und auch selbst sehr erleichtert. Der Abstieg durch die Schuttrinne ist jetzt fast schon ein Klacks. Als ich wieder unten auf dem markierten Bergweg stehe, sind 50 Minuten vergangen. Für den Aufstieg hatte ich 55 Minuten benötigt.

Resümee Kleinkaiser: T5- und UIAA I+. Das Ding ist mit seinem losem Gestein und den zweifelhaften Graspassagen auf keinen Fall für Gelegenheitswanderer geeignet. Es gibt keine Markierungen, keine Steinmänner und nur wenige Spuren. Heikles Absturzgelände. Ein Helm gehört unbedingt zur Ausrüstung dazu.
„Hat es sich denn gar nicht gelohnt?“ Doch, schon, aber zu einem echten Wohlfühlgipfel fehlt dem Kleinkaiser noch etwas. Die Aussicht ist recht schön.
Und für alle Lehrer, Schulklassen oder sonstigen Google-Junkies, die Tourenberichte nur halb lesen, aber ein schnelles Bergabenteuer haben wollen, gilt: Bloß nicht nachmachen!

Auf zum Mitterkaiser! An der Fritz-Pflaum-Hütte lässt man das übelriechende Klo links liegen und folgt zunächst einer sehr deutlichen Spur im Schutt auf ein enge Rinne zu. Hier gibt es sogar rote Markierungen. Durch die Rinne geht es, schnell Höhe gewinnend aufwärts. UIAA I, wenn man sich ungeschickt anstellt auch mal UIAA II.
Anschließend geht es zwischen Latschen hindurch schnell zum höchsten Punkt des Mitterkaiser, der je nach Quelle 2011 m oder auch nur 2007 m hoch gelegen ist. Die vier Meter machen jedoch kaum einen Unterschied.

Bis zum etwas niedrigeren Hauptgipfel, auf dem ein Kreuz steht und der nur 2001 m erreicht, sind es dann och ein paar einfache Klettermeter. Man folgt den Markierungen in die Westflanke absteigend wenige hundert Meter, passiert einige bizarre Felstürme und steigt dann vorbei an Latschenbüscheln wieder auf zum Gipfelkreuz.

Ich bin etwas enttäuscht. Nicht nur, dass hier mehrere Menschen wie Fliegen am Gipfelkreuz kleben, nein, auch der Ausblick nach Norden ist von einem Felsen mit sehr großen Steinmännern verstellt. Der Fernblick endet hier bereits an den eindrücklichen Mauern des Wilden Kaisers. Nach ein paar Erinnerungsfotos verschwinde ich wieder. Am höchsten Punkt ist es auch ganz schön und vor allem nicht so voll.

Und dann passiert doch noch etwas sehr seltsames. Am höchsten Punkt des Mitterkaiser suche ich gerade nach schönen Bildkompositionen (Vordergrund – Hintergrund – Abgrund), als sich einer aus einer vorbeiwandernden Gruppe löst und mich fragt, ob er mal ein Foto von mir machen solle. „Hä? Wie? Nee! Oder meintest Du eher doch, dass ich euch einmal fotografieren soll, weil das kenn ich schon…“
Nun, ich gebe meine Kamera nicht aus der Hand. Ich und fotografiert werden! Da müsste man ja später mit Lightroom oder Capture One ganz viel Trapezkorrektur betreiben…

Resümee Mitterkaiser: T4- und UIAA I+. Der höchste Punkt ist m.E. attraktiver als der bekreuzigte Hauptgipfel. Wird häufiger bestiegen und in der engen Rinne fliegen auch mal die Steine sehr tief: Helm!
Am ungefährlichsten ist es für alle Unbeteiligten, wenn man zu Folgendem entschließt: Nicht nachmachen!

Ich raste ein wenig entfernt von der olfaktorischen Belastung durch das Klo der Fritz-Pflaum-Hütte unter einem Stein. Ein Pärchen, das vorhin noch eher unsicher durch die Rinne am Mitterkaiser abgestiegen ist, versucht sich nun mit Kletterausrüstung am Kleinkaiser. Als alpiner Laier wundert mich das schon…

Weiter unten auf dem Rückweg zur Griesner Alm erklärt ein Touristenmann seiner Touristenfrau, dass man diese Kiefern einfach Latschen nennt. Mehr wüsste er aber auch nicht darüber. Zum Glück weiß Google mehr. Nachdem man die ersten hundert Sucheinträge aus Apothekenumschau & Co. übersprungen hat, liefert Wikipedia die Antwort:

Pinus mugo Turra subsp. mugo (Latsche, Legföhre, Krüppelkiefer)

Pinus mugo subsp. mugo, auch Latsche, Latschenkiefer, Bergföhre, Legföhre, Legkiefer, Zunter, Krummholzkiefer oder Krüppelkiefer genannt: Diese Unterart wächst meist strauchartig und erreicht Wuchshöhen von 1 bis 3 Metern. Sie ist gekennzeichnet durch ihren krummen Wuchs mit niederliegenden bis bogig aufsteigenden Stämmen und Ästen; diese bilden oft ein undurchdringliches Gewirr (Latschenfilz oder Latschenfeld). Der Stamm der Latsche ist lang, liegt aber am Boden und ist kaum erkennbar.“


Und das soll auch das Ende allen Klugscheißens und dieses Tourenberichts sein.
 

- Fin -


n.b.

Die Serie "Nicht nachmachen" enstand im Sommer 2022, als eine 100 Schüler starke Gruppe vom Berg gerettet werden musste, weil das Lehrpersonal einen hikr-Tourenbericht nicht korrekt interpretieren konnte. Irgend so ein selbsternannter wichtiger Hikr hat sich dann auch noch an meiner Satire "Nicht nachmachen" gestört und deshalb schreibe ich jetzt mein eigenes Tagebuch, in dem außer mir niemand etwas kommentieren kann...


Zing • 26. Juni 2022