Rumble in the Karwendel - Tag 5
Abstieg zum Schweinebraten
Wir können unser Glück kaum fassen. Murmeltiere und Gämsen stehen Spalier. Die Vögel singen nur für uns. War der Weg zwischen Stempeljoch und Pfeishütte gestern auch schon so weit, und so flach? Wahrscheinlich kommt es uns nur so vor, weil wir heute mehr Zeit mit den Fotoapparaten vertrödeln dürfen.
Am Stempeljoch kreuzen Steinböcke unseren Weg. Ich führe Drea bis auf wenige Meter heran. Wer hier wohl mehr Respekt vor wem haben mag? "Halt drauf und schieß ... so viele Bilder wie möglich."
Wir haben die gleiche Richtung, die Steinböcke und wir zwei Menschlein. Für uns sind die steilen Wiesen zur kleinen Stempeljochspitze eine größere Herausforderung als für die Vierbeiner. Wir nehmen die Herausforderung an. Gerade als man denkt den Gipfel gleich erreicht zu haben, taucht eine Felsstufe aus dem kurzen Grün auf. Ich bemerke, wie Andrea etwas scheut. Ich verströme Zuversicht und leite sie durch das schroffe und brüchige Terrain. Dann kann man wieder entspannter über einen breiten Gratrücken in Richtung Gipfel marschieren. Eine ganz kleine Engstelle im Grat beschert einschüchternde Tiefblicke und dann stehn wir am Gipfelkreuz. Das hätte Berni sicher auch gefallen...
Wolkenschichten in verschiedenen Höhen spielen mit der Perspektive und dem Licht. Es erscheint, als ob da jemand das Bühnenbild gestaltet und steuert, der etwas von den Dingen versteht, die die Welt zusammenhalten.
Zurück geht es wieder über die winzige Einschnürung im Grat. Beim zweiten Mal ist der eine Schritt schon gar nicht mehr so weit. Wir begegnen wieder den Steinböcken, die völlig unbeeindruckt ihr Ding machen. Die ersten Bersteiger kommen uns in Scharen entgegen. Jetzt ist Schluss mit der Stille am Berg.
Vom Stempeljoch aus nehmen wir die Pfeiserspitze in ANgriff. Zunächst führt der Weg flach und breit durch verdichtetes Geröll, 240er Körnung. Ein Schlenker nach links - noch erscheint alles ganz harmlos - bis man einen Felssporn erreicht. Zwei stolpern uns dort entgegen. Hinter dem Sporn beginnt der Klettersteig und die Helmpflicht. Der Fels ist hier sehr kleinsplittrig. Erste ausgesetzte Stellen mahnen zur Vorsicht. Die Pfeiserspitze ist kein ausgesprochener Picknick-Gipfel. Wir bleiben nur so lange, bis Drea das Klettersteigset angelegt hat. Die großen Schwierigkeiten treten nämlich erst beim Übergang zur Lattenspitze auf.
Über steiles Gras verlassen wir die Pfeiserspitze an einem schlaffen Drahtseil abwärts. Als das Gras endet findet man sich auf einer Felsrippe wieder. Zu beiden Seiten pfeift es abwärts. Zumindest vermute ich das hinter den dichten Nebelschwaden. Man erreicht in umständlichem Zickzack eine Scharte und muss auf der anderen Seite wieder ambitioniert aufsteigen. Sehr fotogene Stelle. Danach wird es leichter wenn auch nicht weniger ausgesetzt. Die Hänge sind steil. Zum ersten Mal kommt die Frage auf, ob wir denn bald da seien. Nun, 'da' ist eine zu unspezifische Fragestellung. Ein 'ja schon' ist die angemessene Antwort...
Es zieht sich. Die Wildangerspitze lassen wir im wahrsten Sinne des Wortes links liegen. Das Gelände ist steil, bröselig und die Knie werden langsam schwammerlweich. Kurz bevor das Törl erreicht ist, setze ich mich in den Matsch, weil ich wenige hundertstel Sekunden zuvor auf selbigem ausgerutscht bin. So ein Scheibenkleister.
Musik, ich höre Musik. Jazz, Dixie. An den Herrenhäusern geben sie ein Konzert, um Geld für den Erhalt der Herrenhäuser zu sammeln. Dieses Relikt des ehemaligen Salzbergbaus ist von stattlicher Architektur. Fragt sich nur, was man mit solcherlei üppigem Gebäude in einer sonnenlosen Sitzfalte des Karwendelgebirges anfangen soll...
Wir ziehen weiter nach St. Magdalena. Andrea entzündet mehrere Kerzen und ich stehe mit offenem Hosenstall staunend vorm Altar. Nur gut, dass mir als Atheist der Zorn Gottes erspart bleibt. Im Selbstbedienungsbereich des Wirtshauses nebenan hätten wir noch gerne etwas getrunken, aber der Wirt ist so freundlich zu uns, dass wir es nicht ertragen können. Aus dem Brunnen schmeckt das Wasser dann auch ganz gut...
Aus, das Spiel ist aus. Wir stehen am Parkplatz. Die Sonne brennt so auf uns herab wie am ersten Tag von Rumble in the Karwendel. Als hätte es die drei Tage im Regen nicht gegeben.
Uns knurrt der Magen. Meine Spürnase für guten Schweinebraten lässt uns an der richtigen Stelle die Inntalautobahn verlassen. Guten Schweinebraten, auch mit glutenfreien Kartoffeln, gibt's beim Schneiderwirt in Nußdorf!