Piz Buin & Silvrettahorn

Silvia Retta-Horn auf der Suche nach Sonnencreme!

Die Rucksäcke sehen schwer aus. Die Männer, die die Rucksäcke tragen, sehen so aus, als ob sie schwere Rücksäcke tragen können. Seltsame Spitzhacken und ein rotes Seil zieren die Rucksäcke. Die Haut der Männer ist fast ledrig. Ihre Sonnenbrillen sind fast schwarz. Die Bergstiefel wirken wie die Füße eines Riesen. Dort hinten leuchten die Gletscher. So sehen also richtige Gletscher aus! Auf einer Schautafel lässt sich ausmachen, dass der große schwarze Block über dem Ende des Stausees der Piz Buin ist. „Der heißt ja so wie die Sonnencreme!“ Irgendwann, wenn ich groß bin, werde ich da hinaufsteigen, auf den Piz Buin, mit einem großen Rucksack und einer Spitzhacke – so war das eben 1985.

geografische Einordnung:


erreichte Gipfel:

weitere Wegepunkte:

Talort(e):


Schwierigkeiten:

Höhendifferenz Aufstieg/Abstieg:

Distanz:


Zeitbedarf inkl. Pausen:

Silvrettagruppe


Piz Buin 3.312m, Silvrettahorn 3.244m

Wiesbadener Hütte, Fuorcla Buin, Egghornlücke

Bielerhöhe


Wandern: T4       Klettern UIAA: II        Klettersteig: -/-         Hochtour: WS

1.340m/1.340m

16,2km


09h30m

Heute stehe ich mit Berni auf der Terrasse der Wiesbadener Hütte und wir schauen den vielen Gästen der zahlreichen Bergführer beim allabendlichen Steigeisenballett zu. Morgen früh gehen wir auf den Piz Buin.
Die Spitzhacke heißt heute Pickel. Die Rucksäcke sind heutzutage auch viel leichter. Nur eines hat sich nicht geändert. Man muss da immer noch selbst hinaufsteigen.

Früher gab‘s auch mehr Gletscher. Heute müssen wir uns über einen blockigen und bröseligen Hang quälen, um unsere Lieblingsmedien Gletschereis und Firn endlich betreten zu können.
Der weitere Weg in die Buin-Lücke ist fast kurzweilig und bequem. Die Spaltenzonen des Ochsentaler Gletschers sind beherrschbar und verlangen keine großen Sprünge. In der Lücke wird es schattig.
Der Piz Buin verdunkelt die Sonne.
Der schwarze Block zergliedert sich im weiteren Verlauf in ein breites Schuttfeld, gefolgt von zwei alternativen, kurzen Klettereien (II), um sich dann flacher werdend in die spärliche Sonne zurückzulegen. Wir erreichen den Gipfel und sind überwältigt von der Aussicht: Wildspitze, Weißkugel, Ortler, Piz Palü, Bernina, Piz Linard und und und ...

Es ist windig hier oben: Föhn. Die Bewölkung wird dichter. Die Seilschaften, die herannahen und den Gipfel stürmen, werden zahlreicher. Wir steigen in die Buin-Lücke ab, um dort zu entscheiden, ob wir heute noch mehr versuchen wollen, als nur eine fortdauernde Weißbierdegustation auf der Hütte. Wir erleben beim Abstieg live, wie eine andere Seilschaft ins Rutschen gerät: Einer rutscht mit der Sohle auf einem glatten Stein aus und drei anderen rutscht das Herz in die Hose.

Die Sonne zeigt nochmal ihre ganze Kraft. Dann machen wir halt noch das Silvrettahorn! Nach einer Stunde Gletscherautobahn erreichen wir die Egghornlücke. „Was ist das denn für ein Schutthaufen“, schallt es vom kalten Ende Seils zu mir herüber. Beim Anblick des Steinhaufens überkommt mich für wenige Mikrosekunden ein schlechtes Gewissen.

Wir verhaspeln uns und kommen zu weit rechts im Schutt raus. Weiter links ist der Schutt doch viel besser. Es wird flacher und der Schutt geht in Blockgelände über. Jetzt ist Berni nicht mehr zu halten. Schon ist er um einen Felssporn herum verschwunden. Ist er rechts oder links herum gegangen? Oh Gott, ist das steil hier. Ja links ist richtig. Bohrhaken und Dänen lügen nie…

Laut Wetterbericht regnet es hier oben auf dem Silvrettahorn schon bald. Tatsächlich könnte man sich hier nochmal einen Schlag Sonnencreme ins Gesicht kleckern, wenn man nicht von der phänomenalen Rundumsicht paralysiert würde. Eine verbrannte Nasespitze ist das schon mal wert.

Der Abstieg wird zum Eilmarsch. Weißbierfantasien beflügeln die Schritte. Um vier sind wir wieder an der Hütte und ein Kindheitstraum ist erfüllt.

In der Nacht regnet und schneit es. Die Dreiländerspitze müssen wir uns aus dem Kopf schlagen. Das ist dann etwas für einen Altherrentraum. Das Silvrettahorn verabschiedet uns mit Zuckerguss und der Piz Buin zeigt uns die schneebedeckte und kalte Schulter …


Zing • 15. August 2019