Bergtour über die östliche Inntalkette

Der Weg des kleinsten gemeinsamen Widerstandes

Die Rumer Spitze steht schon lange auf meiner persönlichen Wunschliste. Von der Berg-station der Nordkettenbahn ist sie relativ günstig zu erreichen. Auf dem Weg zum Einstieg lässt sich noch der eine oder andere Gipfel der Inntalkette des Karwendels mit geringem alpinem Widerstand erschließen. Also auf zur Maximierung der größten gemeinsamen Gipfelerlebnisse!

geografische Einordnung:


erreichte Gipfel:



weitere Wegepunkte:

Talort(e):


Schwierigkeiten:

Höhendifferenz Aufstieg/Abstieg:

Distanz:


Zeitbedarf inkl. Pausen:

Karwendel


Hafelekarsp. 2.334m, Gleirschsp. 2.317, Mandlsp. 2.366m, südl. Brandjoch 2.374m, nördl. Brandjoch 2.372m,

Rumer Spitze 2.454m


Hungerburg


Wandern: T4       Klettern UIAA: II        Klettersteig: A/B         Schneeschuhe: -/-

860m/2.240m

18,6km


09h00m

Nach einer beschwerlichen Seilbahnauffahrt ist die Hafelekarspitze nebst ihrem nur statistisch bedeutenden Nordgipfel schnell erreicht. Wie schon so oft werde ich von einer jungen Dame gebeten sie zu fotografieren. Diesmal ist es eine hübsche Asiatin, die in ihrem langen, schwarzen Kleid allerdings etwas deplatziert wirkt.
Nach dieser interkulturellen Begegnung in einer globalisierten Alpinwelt geht es auf der Ostseite der Hafelekarspitze recht gemütlich (bis T3) hinab auf den Goetheweg aka Hermann-Buhl-Weg. Der Weg schlängelt sich durch einige Schafsrudel hindurch und erreicht bald das Gleirschjöchl. Aus dem unauffälligen Sattel gelangt man leicht (T3) zum Gipfel der Gleirschspitze. Die Perspektive hat sich noch nicht sehr verändert. Der Blick auf den kompletten Wetterstein wird jedoch freigegeben. Ein sonniger Tag…

Man könnte, wenn man wollte, nun zum Gotheweg zurückkehren und die Tour dort fortsetzen. Deutlich spannender ist jedoch der Abstieg über den Ostgrat (bis T4). Ohne Markierung jedoch nicht pfad- und planlos fühlt man sich hier wie ein richtiger Bergsteiger, so oberhalb des völlig übersicherten Goetheweges…

Irgendwann erreicht man den breiten Weg und biegt sodann gleich wieder nach rechts ab, um aus der Mühlkarscharte die Mandlspitze zu besteigen (nur wg. der fehlenden Markierung T3). Hier kann man erstmals den unverstellten Blick auf die Rumer Spitze genießen. Im Norden locken die Rosszähne zur Überschreitung. Der AVF bemerkt hierzu lapidar: III, brüchig. Das ist nichts für mich und den Weg des geringsten Widerstandes. Also hinab auf dem Anstiegsweg. Der Unterstand unterhalb des Gipfels wird noch inspiziert. Ein räudiges Biwak, dann doch lieber im Biwaksack abgesoffen und erfroren…

Weiter gehts auf dem Goetheweg bzw. Hermann-Buhl-Weg – beide sind im Nachhinein betrachtet ihrer Zeit schon immer voraus gewesen – zur Mandlscharte. Warum fragen mich die beiden ausgesprochen sympathischen, jungen Damen eigentlich nicht, ob ich sie vielleicht an der fotogenen Wegbiegung fotografieren möchte?
In der Mandlscharte gibt es kaum noch Sitzplätze mit Blick auf die Rumer Spitze und das Inntal. Ich stehle mich rasch davon und biege unauffällig nach links ab, einem Drahtseil entgegen, das mich auf das Südliche Gleierschtaler Brandjoch befördern soll. Der vorgelagerte Felspfeiler ist so schnell erreicht (A, ohne Draht I-II). Über einen schmalen Grat geht es an eine letzte, plattige Wand, dann am Draht über eine steile Wiese zum Gipfel. Etwas unterhalb des Gipfels findet man einen respektablen Unterstand, der auf keinen Fall zu ekelig für ein trockenes Biwak ist (Tipp). Der Gipfel selbst wird nicht von einem Kreuz geschmückt, sondern von einer Art von Altar für irgendwelche Kameraden… Es gibt auch eine Vorrichtung, auf die man eine Kerze stecken könnte, bevor man sie ansteckt.

Wenn man schon mal hier angekommen ist, dann kann man auch den Übergang zum Nördlichen Gleierschtaler Brandjoch – die Gipfelnamen werden auch immer länger – unternehmen. Laut AVF dauert das nur 15 Minuten und gibt maximal eine UIAA I her. Tja, nach einer viertel Stunde plage ich mich noch immer an einem IIer-Felszacken herum und bin mir meiner Sache gar nicht mehr so sicher. Allein eine etwas deutlichere Pfadspur vor dem Nordgipfel spendet etwas Hoffnung, dass ich mich nicht völlig auf dem Holzweg befinde. Erstmals verliere ich etwas von der zuvor gewonnen Zeit.

Der Gipfel des Nördlichen Gleierschtaler Brandjoches bietet dann ein plötzliches und überraschendes Kontrastprogramm. Eine schier endlose, grüne Wiese mit gelegentlichen Blumentupfern erstreckt sich unter dem blauen Karwendelhimmel (mir wird gleich schlecht von meinem eigenen Gesülze)…
Man glaubt es kaum, aber der Rückweg zum Südgipfel ist unerwartet leichter. In umgekehrter Richtung drängt sich einem der widerstandsloseste Weg direkt auf. Jetzt kanns endlich richtig losgehen mit der Rumer Spitze…

Es ist jetzt ca. eine Stunde vergangen, seit ich die Arzler Scharte in Richtung Rumer Spitze verlassen habe. Ich befinde mich in der Schlüsselstelle (II). Nach einem ausgesetzten Quergang bin ich über einen eingeklemmten Felsblock in den steilen Aufschwung gesprungen. Krämpfe, erst im rechten Oberschenkel, dann auch im linken Oberschenkel. Das kann ich hier und jetzt gar nicht gebrauchen. Die folgenden 20m Kletterei werden zur schmerzvollen Qual. Ich beiße mir auf die Lippen, in der Absicht, dass niemand meinen stillen Schrei nach Erlösung als Hilferuf missinterpretiert. Mit Kringeln vor den Augen und Fantasien von salzigen Pommes Frites im Gaumen erreiche ich dann irgendwie die Grathöhe. Zum Glück hat niemand von meinem Malheur Notiz genommen. Warum ich mich gerade rückwärts kletternd über den Grat bewege, ist mir selbst nicht ganz klar…
Die Rumer Spitze ist erreicht. Im Westen am Wetterstein donnern drohend die grollenden Gewitter. Das Wetter und die Zuversicht verschwinden. Lang dauert die umfangreiche Gipfelschau nicht an. Der Abstieg über den Ostgrat ist dringend geboten.
Im schrofigen und unsicheren Gelände markieren feuchte Flecken den bevorstehenden Wetterumschwung. Ein richtiger Regenguss wäre hier fatal. Das Gelände erlaubt jedoch noch kein schnelles Vorankommen. Erst unterhalb des Kreuzjöchls wird das Gelände wieder zahmer. Auch das Tröpfeln von oben hört auf…

Auf dem langen Abstieg ins Inntal überhole ich eine Gruppe junger Polen, zumindest klangen sie so für mich. Noch heute muss ich an sie denken. Ob sie jemals in dem lahmen Tempo vom Berg hinuntergekommen sind?

An der Rumer Alm korrigiere ich den persönlichen Elektroschrotthaushalt Elektrolythaushalt mit zwei gespritzten Johannis. „Mit Soda“, werde ich gefragt. Die Nähe zur mondänen Alpenmetropole ist nicht mehr zu verleugnen.

Zehn Minuten vor dem ersten, heftigen Gewitter starte ich den Motor. Das Timing stimmt.

Wie immer auch Fotos, ja, ja … schwarzer Rand ... bla bla


Zing • 6. Juli 2019