Pfitscher Joch Trilogie - Haupenhöhe

Schlaflos im Gebirge

Auch in der zweiten Nacht auf dem Pfitscher Joch schlafe ich sehr schlecht. In Alpträumen stehe ich auf dem Gipfelgrat zur Hohen Wand und rutsche aus. Dann wieder denke ich an tausende wirklich unwichtige Dinge: Winterreifen, Fisheye-Objektiv, Chipkrise, Kick-Off-Meeting, Börsenkurse, hikr, den Ricci-Tensor oder ob die plötzliche Entstehung eines Schwarzen Lochs wie ein Einschaltvorgang in der Raumzeit mittels der Laplacetransformation behandelt werden könnte…
Gehe ich heute noch einmal auf einen Berg oder fahre ich gleich in den Supermarkt nach Sterzing und kaufe Speck der für ein langes Leben reicht, und Kaminwurzen, und Käse, und Wein…?

geografische Einordnung:


erreichte Gipfel:

weitere Wegepunkte:

Talort(e):


Schwierigkeiten:

Höhendifferenz Aufstieg/Abstieg:

Distanz:


Zeitbedarf inkl. Pausen:

Zillertaler Alpen - Hochstellerkamm


Haupenhöhe 3.041m

Hohe Öfen, Haupentalscharte

Pfitscher-Joch-Haus, Scheiblerlahner Parkplatz


Wandern: T4       Klettern UIAA: -/-        Klettersteig: -/-         Schneeschuhe: -/-

970m / 1.450m

14,1km


06h45m

Ich habe scheinbar noch nicht genug und starte in Richtung Hochsteller. Bewusst lege ich jedoch eine frühes Bingo (10:30 Uhr) fest, um viel Zeit im Supermarkt und für die lange Rückfahrt zu haben.
Ich trödle bis in die Haupentalscharte vor mich hin und komme nur langsam vorwärts. Die Schlaflosigkeit der letzten beiden Nächte zehrt an mir. Ich nähere mich der kühlen, schneereichen Nordflanke des Hochstellers. Nur ganz wenige, sehr alte Spuren sind zu erkennen. Ich taste mich vor und kann immer noch nicht umkehren. Irgendwie gewinne ich Höhe, aber sehr langsam. Bingo rückt immer näher und der Hochsteller ist noch weit entfernt. Von hinten rückt ein anderer Bergsteiger schnell näher. Meine Motivation strebt gegen ihren Nullpunkt. 10:30 Uhr und 2.920 m, ich müsste umkehren. Mein Verfolger und ich wechseln ein paar Worte. Er hatte gehofft, dass ich ihm den Weg zeige. Er will auch zum Hochsteller. Uns trennen noch 140 Hm von der Haupenhöhe. Er zieht weiter nach oben und ich orientiere mich bereits abwärts.

Ein plötzlicher Impuls lässt mich innehalten. Ich schaue dem Kameraden noch einmal hinterher und komme zu dem Schluss, dass daheim eh niemand auf mich wartet und der Speckchr bestimmt nicht ausverkauft sein wird. Ich könnte ja wenigstens auf die Haupenhöhe!
Eine viertel Stunde später stehe ich auf diesem, ja was den eigentlich? Nach drei Seiten geht es abwärts und in Richtung Hochsteller aufwärts. Schnell stelle ich die Analogie zur Halbinsel her und so wird die Haupenhöhe zum Halbgipfel mit immerhin 3040 m Höhe.

Die Wasserflasche ist schon lange leer. Ich hatte vergessen sie aufzufüllen. Ich esse Schnee. Der Südtiroler Kamerad kehrt vom Hochsteller zurück oder doch nicht? Er musste ca. 30m vor dem Gipfel aufgrund "einer etwas heiklen Stelle" umkehren. Ich muss an die Hohe Wand und gestern denken.
Wir steigen noch bis zur Haupentalscharte gemeinsam ab. Er legt dort eine Rast ein und ich haste dem Speck von Sterzing entgegen…


Zing • 24. September 2021