Klettertour auf den Kopfkraxen
...über den Kraxengrat...
Wir quälen uns durch die letzten Geröllhalden des Schneekares. Berni entdeckt die Sonne an der Wand als erster. Ich blinzle noch und tappe ohne Brille hinterdrein. Die Sonne markiert eigentlich den Einstieg zum Sonnenpfeiler (VI+), aber auch den Beginn des Kraxengrates. Gleich in der ersten „Seillänge“ dengele ich mir das Knie an. Der Druckschmerz wird mir während der gesamten weiteren Tour Mahnung sein doch besser aufzupassen.
Die dritte Seillänge ist 60m lang. Wir verlieren uns aus den Augen und den Ohren. Irgendwann steige ich dann nach. Da hat doch jemand zweimal kurz am Seil gezogen, oder? Berni erwartet mich nicht am Stand bei der Felseninsel, sondern hat etwas weiter oben einen schönen Schlingenstand gebaut. Von einem Bohrhaken auf der Felseninsel ist keine Spur zu sehen. Erst beim Rückblick vom Schlingenstand sehen wir den Bohrhaken auf einem Felsflecken ca. 2m links der markanten Felseninsel. Rückwirkend betrachtet stellt die Felseninsel eher das Felsenfestland dar und der Felsflecken ist die eigentliche Felseninsel.
Nun bin ich an der Reihe zu führen – wir führen abwechselnd bzw. klettern überschlagend, ohne uns zu überschlagen – und suche nach der Sanduhr. Berni sieht den mausgrauen Seilring auf felsgrauem Fels schon über 35m, aber ich stehe einen Meter davor und sehe gar nix. Gut das mein Kletterbetreuer mir den rechten Weg weist…
Der fünfte Stand. Berni hat wieder mit Schlingen gebaut. Wenige Meter vor ihm finde ich links den Ringhaken. Auch ein blinder Hahn fischt manchmal im Trüben gefundene Körner…
Ich steige eine III+ hinauf zum Grat vor und winde mich zwischen einigen Zacken über den Grat. Einen Bühlerhaken ignoriere ich als Standplatz. Der wäre es aber gewesen! Ich gehe noch ein paar Meter aufwärts und baue erneut eine abenteuerliche Schlingenkonstruktion auf. Es ist schwierig hier zu kommunizieren. Ich ziehe wie blöde an dem Strick, der enorm durch die Reibung blockiert, oder hält da jemand auf der anderen Seite dagegen? Ich sehe Berni und die Seilreibung lässt nach. Der hat doch wohl nicht…
Mit der 8. SL soll die erste Schlüsselseillänge mit IV- folgen. Davon bemerken wir jedoch rein gar nichts. Nur bei ganz großzügiger Selbstbeweihräucherung kann man mit zwei zugedrückten Augen vielleicht von einer III+ sprechen.
Wir haben die 11. SL hinter uns gelassen. Der Blick auf die Wand vor uns verrät die wahre Schlüsselstelle. Ich könnte jetzt mit Führen an der Reihe sein, lasse aber Berni die Ehre, den Ruhm und den Vortritt. Seinen wohlgemeinten Rat, jetzt doch auf Kletterschuhe umzusteigen, lehne ich ab. Für einen Schuhtausch reicht mein Nervenkostüm nicht aus. Außerdem geht er ja auch in Zustiegsschuhen vor. Das erste Wändchen überwindet er spielend. Aus der darüber liegenden Verschneidung klingt mein Vorstiegskamerad jedoch viel angestrengter. Ich soll auf Kletterschuhe umsteigen. Ach, im Nachstieg wird das schon gehen. Eigentlich soll es ja unten schwieriger sein, als in der Mitte oder oben, zumindest laut Topo von
bergsteigen.com.
Ja, die Mitte ist schwer. Den linken Fuß kann ich in einer Felsspalte verklemmen, der rechte lastet auf einem schräg abfallenden Tritt. So verspreizt kann ich die Arme etwas entlasten. Die beiden Exen sind ausgehängt und meine lahmen Flügel haben etwas Kraft schöpfen können. Ich greife nach zwei schmalen Leisten und will mich nach oben ziehen. Der linke Schuh will sich aber nicht aus der Spalte lösen lassen. Also muss ich mich nochmal ganz tief hängen lassen, um das linke Bein entlasten und den Fuß aus der Felsspalte schrauben zu können. Dann ein Klimmzug mit halbherzigem Beindruck von rechts und das Ding ist gemeistert. Hätte ich bloß mal Kletterschuhe angehabt.
Wir treffen uns erleichtert am Wandbuch, das eigentlich ein Gratbuch ist, wieder. Schlimmer wird’s nimmer.
Einen Herzschlagmoment gibt es dann doch noch in der 15. SL. Ich trete durch einen Felsspalt hindurch. Unterhalb des linken Mäuerchens existiert nur ein schmaler Sims. Über die drei windigen Schlaghaken im Mäuerchen freue ich mich trotzdem. Wie es wohl nach dem letzten Haken weitergehen mag? Man klettert nach links und dann auf der schmalen Seite der Mauer hinab, um über eine schmale Verbindung zum nächsten Stand zu gelangen. Hier ist es wirklich sehr luftig. Danach sind die Schwierigkeit jedoch vorbei. Das Gelände wird zunehmend brüchiger, schrofiger, ja sogar botanisch.
Der Ausstieg aus der 18. und letzten Seillänge ist kaum ein emotionaler Höhepunkt. Wir sortieren uns und die viel zu reichhaltige Ausrüstung.
Ein paar Worte zur Ausrüstung. Ja, der Kraxengrat ist alpin. Wir haben jedoch keine Möglichkeiten gefunden, die mitgebrachten Klemmkeile und Friends gewinnbringend in die Sicherungskette einzubauen. Solches Eisenzeugs könnte man in großen Mengen verzichten. Drei bis vier Schlingen sind dagegen hilfreich, um das Seil an den vielen Gratköpfen reibungsfrei umlenken zu können. Tja, die Kletterschuhe haben wir nicht gebraucht. Aber das entscheidet ohnehin jeder für sich selbst. Börni gibt zumindest zu, dass er sich in der Schlüsselstelle mit Patschen wohler gefühlt hätte. Ich kanns ihm nicht verdenken. Ach, nehmt genügend Wasser/Getränke mit! Wasserhähne gibt’s keine.
Der Gipfel des Kopfkraxen ist in wenigen Schritten erreicht. Wir deponieren einen Teil des Materials dort und statten dem nahen Sonneck noch einen Besuch ab. Man hat vom Weg dorthin noch einmal einen prima Überblick auf den Kraxengrat. Die beiden Kletterer, denen wir am Morgen beim Einstieg in die Sonnenplatte begegnet sind, sind noch immer in der Wand.
Zurück am Kopfkraxen sind meine Wasservorräte erschöpft. Mein Kamerad lässt mir noch die letzten lauwarmen Schlucke aus seiner Flasche. Aber es könnte schlimmer sein. Ein ziemlich ausgetrockneter Bergsteiger kommt nach der Durchsteigung der Blue Moon (VI+) an uns vorbei. Er hatte nur einen dreiviertel Liter Wasser dabei. Seine Schritte schwanken schon und nicht etwa, weil er besoffen wäre. Berni folgt ihm und tauscht Klettergespräche aus. Die beiden sind immer noch schneller als ich. Trinkt da etwa einer heimlich aus der Rucksackblase?
An der Weggabelung stehe ich alleine da. Wir wollten doch zur Kaiseralm auf’n Bier. B. wird doch nicht etwa dem vertrockneten Kletterer zum Wasserfall gefolgt sein? Zum ersten Mal benutze ich das Handy im Gebirge. „So, nur noch 10 Minuten bis zum Wasserfall, schön, wir wollten übrigens zur Kaiseralm! Ja, zurück!“
Die Kaiseralm ist schon geschlossen. Gegen drei Euro kann man ein Bier aus dem Kasten im Brunnen nehmen. Wir haben nur Zwanziger und Fünfziger dabei. Den ganzen Kasten wollen wir nicht. Als wir uns ehrlich und durstig trollen wollen, erscheint Siggi, der Held des Tages. Trotz vehementer Abwehrversuche unsererseits hinterlässt er einen Obolus in der Dose und wir können uns mit Radler erfrischen. Danke vielmals, Siggi!
Als wir das Auto in der Dämmerung erreichen kommt auch gerade die Partie aus dem Sonnenpfeiler zurück. Alle sind wohlauf. Ein guter Bergtag.