Klettertour 1. Sellaturm - Kaminführe

one step further ...

Wir wollen uns steigern. Heute möchten wir führerlos - hoffentlich nicht planlos - die Kaminführe am 1. Sellaturm versuchen. Die SO-Wand des 1. Sellaturms wird insbesondere auf der Kaminführe häufig begangen. Umso mehr sind wir verduzt, als wir völlig alleine am Einstieg stehen. 

geografische Einordnung:


erreichte Gipfel:

weitere Wegepunkte:

Talort(e):


Schwierigkeiten:

Höhendifferenz Aufstieg/Abstieg:

Distanz:


Zeitbedarf inkl. Pausen:

Dolomiten


1. Sellaturm 2.535m

-/-

Sellajoch


Wandern: -/-          Klettern UIAA: III+            Klettersteig: -/-          Schneeschuhe: -/-

330m / 330m

-/-


05h00m

Die Rollen sind klar verteilt. Ich gehe vor und der Wolf passt auf. Wir haben gleich zwei Topos in der Hosentasche, eines von Mauro Banardi und eines von bergsteigen.com. In keinem der beiden ist der Ringhaken verzeichnet, den ich nach 25 m Schrofenkletterei bereits erreiche. Man muss also auch vorne aufpassen.

Am Beginn der dritten Seillänge habe ich dann doch nicht aufgepasst. Ein ausgelatschte Spur führt nach oben und endet unter einer grifflosen Mauer. Also zurück. Es geht etwas abwärts, bevor man in eine kleine Wand mit der ersten IIIer-Stelle einsteigt. Im weiteren Verlauf übersehe ich im mäßig schwierigen Gelände sicher so manchen Haken und komme erst zum Stehen, als es kein Seil mehr gibt.

Weiter geht es über eine Rampe und durch einen schmalen Kamin (III).

Die 5. SL soll leicht sein. Ist sie auch, aber eben anfangs ausgesetzt. Für den kleinen Schrecken wird man wenigstens mit einem Standpaltz mit gleich zwei Haken belohnt. Fast, aber nur fast, wie im Lehrbuch...

Wolf und ich stehen unter der Schlüsselstelle (III+), dem versteckten Kamin. Unter uns heulen die Motoren bei der Auffahrt zum Sellajoch und dennoch ist in diesem Moment nichts weiter entfernt als diese laute Welt. In Tippelschritten geht es vorwärts. Die Füße haben hier mehr Auswahl als die Hände. Nur auf dem ersten Meter bleibt man im versteckten Kamin und muss sogleich auf seine rechte Begrenzung wechseln. Die Erleichterung nimmt überproportional in dem Maße zu, in dem sich das Gelände langsam zurücklehnt. Geschafft!


Es ist bereits mein dritter Versuch. Wieder stehe ich auf, stelle mich an den Rand der abartigen Kluft und will springen. Wieder schlottern die Knie, wieder tauchen dämonische Bilder vom zu kurz geratenen Sprung vor meinem geistigen Auge auf und wieder mache ich einen Rückzieher. Jetzt reichts mir. Dann probiere ich eben den Spreizschritt.
Wolf nimmt mich über einen Bohrhaken an die kurze Leine. Noch stehe ich mit beiden Füßen in einer kleinen Nische. Den rechten Fuß schwinge ich auf die schräge Platte der gegenüberliegenden Wand. Den linken Fuß rutsche ich noch etwas weiter nach rechts. Jetzt mit beiden Hände loslassen und den Oberkörper aufrichten. Das Panorama ist mir gerade völlig wurscht. Kurz über meinem rechten Fuß kann ich einen kleinen Block fassen. "Wolfgang, lass das Seil mal bitte locker!" Der linke Fuß wird abgeholt und ich haste auf den Ringhaken zu. Selbstsicherung eingehängt. Stand!
Der Wolf muss noch nachkommen. Er will spreizen, schaut aber nach Osten. Das ist falsch. Also nochmal andersherum. Auch ihm gelingt der Jungfernsprung und ich hole ihn überglücklich nach.

Schwieriger wirds nun nicht mehr. Man sieht dem Fels hier oben jedoch den literweisen Angstschweiß an. Die entscheidenden Griffe sind blank wie Marmor. Wir haben es geschafft.

Beim Abstieg hilft uns die Belgische Armee. Am Abseilstand des 1. Sellaturms hängt ein 50m-Doppelseil. Auch Zivilisten dürfen das benutzen. So gelingt der Abstieg noch flinker.

Vielleicht gehen wir noch in die Steinerne Stadt, aber vermutlich haben wir mit der Kaminführe heute auch einfach genug...


Zing • 17. September 2019