Klettertour Karlmauer Nordwand "Domenigg"

Ohne Verhauer wäre es weniger spannend gewesen...

"Zing, Du hast die Topos im Auto vergessen", fällt mir ein, als wir höchstens noch eine viertel Stunde von der Voisthalerhütte entfernt sind. Beide Topos! Das für heute - Karlmauer N-Wand - und das für morgen - Hochschwab Südwand.

Ich überschätze mein eidetisches Gedächtnis und so kommt es, wie es kommen muss, ich beschere Wolfgang und mir einen grandiosen Verhauer. Ob wir aus der Nummer lenbend wieder herausgekommen sind?

geografische Einordnung:


erreichte Gipfel:

weitere Wegepunkte:

Talort(e):


Schwierigkeiten:

Höhendifferenz Aufstieg/Abstieg:

Distanz:


Zeitbedarf inkl. Pausen:

Hochschwab


Karlmauer 1.938m

Voisthalerhütte

Wanderparkplatz Seewiesen


Wandern: T4       Klettern UIAA: III/III-        Klettersteig: -/-         Schneeschuhe: -/-

1.050m / 350m

9,3km


k.a. (siehe Text)

U

Mit schweren Rucksäcken schlendern wir durch den Wald. Wir hatten am Parkplatz nochmal alles überprüft: Kletterausrüstung, Hüttenzeugs, Sonnencreme. Alles da!

Ein Problem entsteht immer nur dann, wenn nur einer aus der Zweiergruppe die Prüffragen stellt. Ich habe mich jedenfalls nicht nach meinen Topos gefragt. Und weil mein Gewissen noch rein ist, quasseln wir über Fotgrafie, Politik, die Gesamtsituation und und und ...


Erst als die Voisthalerhütte nicht mehr weit ist, schweifen meine Gedanken zur Karlmauer Nordwand ab. "Scheiße, die Topos liegen noch im Karren!"

Ich beruhige mich selbst. Die fünf Seillängen gehen auch ohne Topo, oder waren es sechs Seillängen? Alles irgendwie nur II-Grad und eine Stelle III-. Das weiß ich noch. Wird schon irgendwie klappen...


Nach zweieinviertel Stunden kommen wir an der Voisthaler an. Letztes Mal hat es nur 2 h und 9 Minuten gedauert. Naja, die Rucksäcke sind schwer und ich habe einen alten Mann dabei...


Jetzt inspizieren erstmal die neue Hütte und füllen die Flüssigkeitsspeicher auf. Dazu gibt es Elisabeths Butterbrote mit Braten und Senf.

Während wir den Zustieg zur Karlmauer Nordwand recht leicht finden, wandern die Blicke oft zum Hochschwab. Durch diese kahle, brennende Wand soll es morgen aufwärts gehen. Die Karlmauer ist quasi die Eingehtour. Mit dem Schartenspitz hat es gestern ja nicht geklappt. Im Vergleich dazu ist heute alles viel einfacher:


a) Der Zustieg ist deutlich erkennbar.

b) Der Einstieg leuchtet mit zwei Bohrhaken und Kette weithin sichtbar.

c) Die ersten Meter sehen gemütlich aus.


Wir seilen uns an und ich gehe los. Der erste Bohrhaken ist nach wenigen Meter erreicht. Wie geht es jetzt weiter. Rechts befindet sich eine Rinne, die nur auf sehr sparsamen Tritten zu überwinden ist. Links finde ich das für meine Begriffe einfachere und daher erwartete IIer Gelände vor. Auf dem weiteren Weg finde ich dann auch wieder Bohrhaken und die Schwierigkeit übersteigt nie den zweiten Grad. Als dann auch noch ein Bügel in der Wand auftaucht, bin ich mir sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind.


Da ist nur noch ein kleines Problem. Das Seil hat sich verfangen und mir fehlen noch drei Meter bis zum Stand. Ich stehe in losem Schutt...

Wolfgang kommt nach und muss wegen des verklemmten Seils das Seil auch selber einholen. Beim nächsten Mal muss ich darauf besser achten. Aber im Hier und Jetzt steht die zweite Seillänge bevor. Wo geht es nur weiter. Wolfgang erkennt Bohrhaken, wo ich ohne Brille nur nackten Fels sehe. Rechts sieht es griffiger aus. Ich klettere los, erster Versuch. Das Gelände ist schrofig und brüchig. Als Wolfgang Seilmitte ruft, habe ich noch immer keine Zwischensicherung gefunden. Da war nichts! Die Schwierigkeit nimmt zu und als ich mich bereits im vierten Grad wiederfinde, ist es an der Zeit innezuhalten. Vielleicht bin ich falsch abgebogen? Von oben beobachten uns Steinböcke. Dort muss es also leichter sein.

Ich klettere einige Meter zurück und lege einen Klemmkeil, damit wenigstens etwas zwischen mir und einem ungebremsten Aufprall am Einstieg ist.

Der nächste Versuch führt mich etwas weiter nach links. Es ist halbwegs einfach (III - also ein steirischer IIer von 1909), aber sehr brüchig. Aber auch hier komme ich nach zwanzig Metern an meine Grenzen. Ich muss nochmal zurück auf Anfang und zu Wolfgangs Standplatz. Beim Heruntertasten bricht mir ein Griff aus. Der Puls beschleunigt sich. So etwas passiert halt mal. Als wenigen Sekunden später aber dann auch noch der Tritt unter meinem rechten Fuss ausbricht, kommt der Puls nicht mehr ganz so schnell zur Ruhe. Endlich erlöst mich der Standplatz und ich kann die Selbstsicherung in den stabilen Bügel einhängen.


Und jetzt? Wolfgang zeigt wieder auf seinen Bohrhaken in der Rinne. Jetzt endlich sehe ich den auch. Der Fels dorthin ist jedoch abschüssig und glatt. Ich versuche es, aber unter dem vierten Grad komme ich nicht weiter und so viel Tiefstapeln traue ich nicht einmal den steirischen Kletterern zu. Die Domenigg ist nur III-.


Es hilft nicht. Wir müssen zurück zum Einstieg. Für das Abseilen reicht unser 50m-Strick nicht aus. Also schleichen wir in zweifelhaftem Fels mühsam und langatmig zurück. Eigentlich wäre die Geschichte hier zu Ende. Aber schon wieder umdrehen kommt nicht in die Tüte. Am Einstieg bitte ich Wolfgang mich nochmal zu sicher. Ich möchte probieren, wie es rechts von der ersten Zwischensicherung weitergeht...

Und siehe da, nach dem Riss rechts vom Bohrhaken geht es 'vernünftig' weiter. Es tauchen weitere Zwischensicherungen auf und nach 35 Metern ist der erste Standplatz erreicht. Der IIte Grad wurde nicht überschritten. Wolfgang kommt nach und stellt gleich fest, dass sich das wie richtiges Klettern anfühlt..


Die zweite Seillänge ist unwesentlich schwieriger, aber länger. Unsere sechs Exen brauchen wir vollständig auf. Ich erreiche den zweiten Standplatz, der am Eingang zu einer feuchten, nein nassen Höhle liegt. Wo es jetzt wohl weiterführt?


Ich wate durch roten Lehm, um eine Platte zu erreichen, die uns aus dieser dunklen Stelle herausleitet. Den Schmodder muss ich sorgfältig an den Hosenbeinen abstreifen, damit ich den notwendigen Grip auf den kleinen Tritten in der Platte erlange. Ein Zapfen ragt links über mir heraus. Erst ist der Schlüssel und entscheidende Griff, um die Platte zu verlassen und den dritten Standplatz zu erreichen.

Wolgang kommt nach und sagt etwas von drittem Grad. Im Topo von bergsteigen.com gibt es nur eine Stelle III-, also war das nur ein IIer, vielleicht II+.

Der Weg geht plattig weiter. Ich fühle mich in dem Gelände wohl. Die Schwierigkeiten habe ich im Griff und der Weg ist auch auffindbar. Die nächste  arg glatten Platte schätze ich dann auf III-, weil das tiefstapelnde Topo von bergsteigen.com das ja so wiedergibt. Als ich die Platte verlasse und einen Abseilstand erreiche, würde ich die letzten Meter dann doch mit glatt III bewerten, aber das Internet sagt etwas anders. Über ein breites Grasband erreiche ich zwei alte, stabile Haken.


Direkt über den Haken sieht es schwieriger aus. Nach rechts kann man das Band jedoch über Schrofen verlassen. Ich mache also einen Schlenker durch die Wand. Auf den nächsten 40m gibt es keine Zwischensicherung, außer man baut sie selbst. Zur Halbzeit gönne ich mir eine Köpflschlinge...


Die letzte Seillänge enthält nur noch wenig Fels und führt zuletzt über Stufen im steilen Gras auf die weite Wiesenhochfläche.

Nach kurzer Suche findet sich eine Sicherungsmöglichkeit, um Wolfgang nachzuholen. Wir räumen auf, schlendern zum Gipfelkreuz und reichen uns erst dort die Hand.

Abstieg! Bergsteigen.com schickt uns im erinnerten Topo nach Osten. Ich glaube Spuren zu erkennen, aber Wolfgang zweifelt. Irgendwann stehe ich an einer Kante und es geht auf keinen Fall einfach weiter. Ich muss nicht lange überlegen und entscheide den etwas mühsamen Rückweg zum Kreuz der Karlmauer.

Das war richtig. Etwas nach Westen ausholend findet sich ein deutlich sichtbarer und mit vlt. T4- zu bewertender Abstieg zur Voisthalerhütte.


Weil wir wie die Christbäume mit Kletterausrüstung behängt sind, kommen wir noch auf der Hüttenterrassemit einem anderen Kletterer ins Gespräch. Der spielt allerdings in einer ganz anderen Liga als wir und verfügt über sehr gute Ortskenntnisse. Ein Kletterführer "Hochschwab" leigt auch schon auf dem Tisch. Ich überprüfe die Karlmauernordwand und den Domenigg-Weg. Hier gibt es zwei Stellen III- und eine mit III. Das deckt sich zumindest mit Wolfgangs unvoreingenommener Wahrnehmung.


Vielleicht war es gar nicht so schlimm, dass ich das olle bergsteigen.com-Topo im Auto vergessen habe.


Zing • 6. September 2023