Klettertour auf 1. und 2. Sellaturm
Wenn Normalität zur Gewohnheit wird
Die 3m-Einstiegswand gehört wie immer zu den schweinemäßig nervigen Sachen der Stufe 10. Die gleiche Wandstelle nur mit 100m Luft im Rücken wäre schon eine III+-Bewertung wert. Ich bin nur froh zu wissen, dass wir hier heute nicht auch noch absteigen müssen. Die verrottete Sanduhrschlinge oberhalb des Wändchens ist mittlerweile durch einen schönen glänzenden Bühlerhaken ersetzt worden. Auch hier ändert sich etwas. Ich persönlich hätte mich auch über einen einzelnen, zentralen Stahlstift im Einstiegswändchen gefreut...
Wir steigen weiter durch die Rinne auf, am kurzen Seil. Ich erinnere noch eine kurze IIer-Stelle und dann sind wir ja schon auf dem Band zum 1. Turm. Fast richtig. Das I-II-Gelände hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Gesichert wird nur das Notwendigste. Endlich teilt sich der Weg und wir biegen nach links zum 1. Sellaturm ab. Was viele nicht wissen, der ist zwar nicht so hoch, dafür aber sehr lang. Schorsch will schon umkehren, aber ich ziehe ihn bis zu dem Punkt, an dem es wirklich nicht mehr höher hinaus geht. Nach ganz kurzer Rast, im Kopf bin ich schon auf dem Weg zum dritten Turm, blase ich zum Aufbruch. Da jedoch trifft Schorsch irgendeinen Pustertaler und verquatscht sich. Mit jeder Sekunde wird der dritte Sellaturm kleiner...
Georg stellt bohrende Fragen und mit der Stille am Berg ist es vorüber. Endlich stehen wir vor dem Schlussanstieg des zweiten Sellaturmes. Das geht heute gut und meine persönliche Bewertung liegt sogar unter der von Mauro B., III-. Jetzt noch eine S-Kurve und der Gipfel ist erreicht. Man hat hier einen schönen Blick auf auf den dritten Turm.
Jetzt fängt Schorsch an den Halbmastwurf zu üben oder wie man den Abseilachter ins Seil hängt. Es ist allerdings so als würde man 10-Sekunden-Tom eine längere Geschichte erzählen.
Schorsch ist vorausgegangen und versucht seit fünf Minuten mich mit einer HMS nachzusichern. Als ein Bergführer erscheint und der uns für Bekloppte hält, steige ich ohne Sicherung zu Schorsch ab. So schwer ist das ja nicht. Vorher frage ich allerdings nach dem Preis für die Kombination von 'Freccia' und 'Glück'. 350,- EURO und man ist mit einem Profi unterwegs...
Wir seilen die 15m vom 2. Turm ab. Die Bewölkung nimmt mittlerweile zu. Mal schauen, wie es am Abzweig zum dritten Turm aussieht. Endlich sind wir dort angekommen und erste, vereinzelte Regentropfen treffen mich, uns. Ade dritter Sellaturm.
Wir gehen rüber zum 1. Sellaturm. Einen sehr kurzen, ersten Regenguss warten wir mit zwei richtigen Kletterern in der großen, gelben Höhle ab. Meine Augen suchen den nun gegenüberliegenden Abseilstand, finden ihn aber nicht. Erst als wir den Ausstieg der 'Freccia' erreichen und ich einige Meter um ein Eck klettere, sehe ich die beiden rostigen, ineinander verschlungenen Ringe.
Schorsch traut mir nicht und schickt mich vor. Ich genieße die lange 25m-Abfahrt, es könnte gerne schneller gehen...
Während ich mich durch die bröselige Ringe quäle, wird es immer dunkler. Immer häufiger treffen Tropfen den wertvollen Fotoapparat. An der 30m-Abseilstelle ist eine Amerikanerin zugange. Wir müssen weiter zur nächsten Abseilstelle, weil das 50m Seil zu 'tight' ist. Im nun strömenden Regen bitte ich Schorsch, sich in das Seil einzubinden und mich nachzusichern. Ich bin auf dem Weg, es sind höchstens 15 Meter, aber dann bbin ich am Anschlag. Jetzt setzt auch noch Hagel ein. Bei dieser Geräuschkulisse ist die Verständigung schwierig. Ich brauche noch 2 Meter bis zum Abseilstand. Das Seil gibt nach und ich glaube Schorsch kommt nach. Ich sehe ihn auch schon oberhalb von mir. Das Seil läuft jetzt überraschend leicht durch die Sicherung. Liegt das am Regen? Da sehe ich, wie das Seilende lose zu mir über den Fels hoppelt...
Es war zu kurz. Die Kommunikation war schlecht. Schorsch ist glücklicherweise nichts passiert. Diese Sicherungsvariante war auf jeden Fall die schlechteste aller möglichen Varianten.
Die letzte Abseilstelle im Hagel. Mein T-Shirt ist nass. Als ich unten angelange, erinnere ich mich, dass die Abseillänge doch auch 25m beträgt.
Ich ziehe den Anorak über und es hört auf zu regnen. Wie die nassen Murmeltiere dackeln wir zurück zur Hütte.
Das war also das dritte Mal auf den ersten beiden Sellatürmen. Eine Wiederholung wird es nicht mehr geben. Ich will endlich zum ersten Mal auf den dritten Sellaturm. Was habe ich gelernt? Im nächsten Jahr werde ich meine Bergurlaube deutlich egoistischer planen...
Das Titelfoto mit dem nassen Murmeltier ist von Schorsch. Es gibt auch Bilder von mir. Da es aber auch zu meinem Schicksal gehört, ausschließlich von digitalen Geronten umgeben zu sein, weiß ich noch nicht, ob ich jemals eines nachreichen werde...