Nicht über den Pössenecker Klettersteig
Zu kalt, zu nass und nicht cool genug!
Da stehen wir nun vor der schattigen Wandflucht. Für Profis ist das bischen Feuchtigkeit kein Problem. Ich bin ein Weichei und lasse mich nicht überzeugen. Ich bin draußen. Georgio will es zumindest versuchen.
Als er ca. 25m über mir ist, fragt er mich, ob wir nicht heute zum Col Rodella könnten. Ich hatte gerade den teuren, alten Fotoapparat ausgepackt und bitte ihn noch ein paar Meter zu gehen, damit ich ein Foto machen kann. Ich sage: "Danke, Du kannst jetzt umdrehen." Er hört mich nicht und steigt unbeirrt weiter in die C/D-Verschneidung. Als er ums Eck verschwindet, mache ich mich auf den Weg zurück zum Sellajoch. Langsam lichtet sich der Nebel. Dabei entstehen meine besten Fotos dieser Gegend. 'Türme im Nebel' oder auch 'Geißler-Puez-Gruppe mit Nebelfetzen'. Definitiv Kandidaten für die Wand...
Die Bergrettung ist bereits an den Sellatürmen zugange. Hat der nasse Fels etwa schon erste Opfer gefordert?
Es ist blöd so aus dem Spiel auszuscheiden. Dass die Gipfel heute kaum aus den Wolken kommen ist kaum Trost, eher eine schwache Ausrede.
Dann vertage ich den Pössenecker Klettersteig einfach auf einen anderen Tag, hake das Thema und beschließe dem allerbesten Bergsteiger im Val Lasties ein Stück entgegen zu gehen.
Ich halte mich zunächst an der Passstraße. Das ist aber Mist. Die plötzliche Gesellschaft von Julia und Anna, die beide zu Boehütte wollen, macht die Sache aber dann doch ganz interessant. Julia kommt aus Bozen, Anna aus Kalifornien, ihr Vater jeodch aus Bozen, weshalb sie dann nur Italienisch oder Englisch spricht. Unsere Polygotte Gruppe steigt weiter ab, bis wir an einen Bach gelangen, der aufgrund der Regenfälle jedoch stark angeschwollen ist. Da kommen wir nicht hinüber. Wir probieren alles, aber irgendwo ist die Strömung doch immer furchteinflößend. Ein Ehepaar gesellt sich dazu, unternimmt die gleichen erfolglosen Überquerungsversuche und bricht dann ab. Der Signore vbedeutet uns, dass wir ihm auf der linken Seite weiter nach oben folgen sollen. Vorbei an ein mehreren Wasserfällen steigen wir weglos nach oben. Endlich bietet sich eine flachere Stellen, die die Überquerung des Baches ermöglicht. Die Damen gehen vor. Als sie trocken, nach zwei geschickten Sprüngen auf der anderen Seite angekommen sind, fasse ich auch allen Mut zusammen und versuche mein Glück. Ich glaube, ich hatte die ganze die Augen geschlossen. Als ich die Augen wieder öffnen beglückwünschen wir uns mit high five!
Bald gelangen wir in flacheres Gelände. Auf einer Wiese ein ein großer Boulder. Hier warte ich auf Georgio, der ja genau zwischen Torre di Siela und Torre di Roces vom Piz Miara herunterkommen müsste. Die Nachfrage per Handy bestätigt die Theorie.
Irgendwann sehe ich einen ganz kleinen Punkt oben auf einem Schuttfeld. Das kann ja noch dauern. Ich beginne an dem Boulder zu bouldern. Bei der Gelegenheit ziehe ich mir eine pralle Blutblase an der Wurzel des linken Daumens, aber Hauptsache oben. Als ich wieder unten bin beiße ich die Blutblase mit den Zähnen auf. Just in diesem Moment erscheint eine Familie zum Picknick, und ich stehe da mit Blut an Hand und Mund...
Ich stelle mich am nahen Bach wieder her und warte.
Irgendwann, das Gefühl für Zeit ist mir schon abhanden gekommen, erscheint der allerbeste Klettersteig-Georgio dann doch noch. Die Sache mit dem markierten Weg kann ich ihm ausreden, ich kenne mich sschließlich aus. So können wir nochmals die Highlights des reßenden Gebirgsbaches erleben. Auf dem Normalweg wäre das nicht passiert.
Am Tiefpunkt angekommen, biegen wir leider kurz falsch ab. Wir bemerken den Fehler jedoch bald, gehen zurück und nehmen den Gegenanstieg zum Sellajoch in Angriff. Erste Regentropfen fallen, es donnert und blitzt. Die Regenmonturen werden angelegt. Es strömt. Der kurzeste gezählte Abstand zwischen Blitz und Donner beträgt dreieinhalb Sekunden! Ein Traumtag würde anders enden. So lerne ich endlich auch einmal den Trockenraum der Rif. Valentini kennen.
Und wenn sich die Geglegenheit bietet, werde ich den Pössenecker bestimmt an einem Traumtag bei Traumwetter nachholen. Vielleicht mach ich aber auch ganz etwas anderes, weil Klettersteige nicht mein Ding sind...