Bergtour Vordere und Hintere Karlspitze
Unter dem Flimmerkistendach anstatt vor der Glotze
Bis zur Ausfahrt Kufstein-Süd muss man (derzeit) keine Maut mehr bezahlen. Das spart Zeit und Geld. Die gesparte Zeit vergeude ich dann später noch beim Abbiegen in Elmau. Das Navi will unbedingt, dass ich rechts abbiege. Allerdings bleibe ich immer in der Endlosschleife um die Busstation von Ellmau herum stecken. Nach der fünften Runde fasse ich all meinen Mut zusammen, überfahre gleich zwei durchgezogene Linien und die Tussy im Handy hält den Mund...
Auch der Start an der Wochenbrunner Alm verläuft nicht ganz ohne Zweifeln und Probieren. Warum müssen Gruttenhütte und Gaudeamushütte auch beide mit 'G' beginnen? Wahrscheinlich, weil wir hier im Wilden Gaiser sind...
Endlich auf der richtigen Spur, geht es wieder flott voran. Nach etwas weniger als zwei Stunden ist bereits das Ellmauer Tor erreicht. Ein festes Schneefeld liegt im Schatten des jungen Tages. Man könnte rechts oder auch links daran vorbei. Weil 'rechts' mir heute noch nnicht so viel Glück gebracht hat, entscheide ich mich richtigerweise für den linken Rand. Es ist etwas rutschig auf dem Schnee, aber keineswegs unmöglich.
Und dann stehe ich auch schon vor der Kletterei. Zwei Geröllfelder mit Schrofenriegel dazwischen, dann noch weiter nach rechts durch eine Rinne, dann links unter dem markanten Flimmerkistendach zu einer Scharte im Grat...
Klingt einfach, sieht nicht schwierig aus und doch gibt es bereits bei den Schrofen nach dem 1. Geröllfeld ein Problem. Die Literatur verweist auf blaue Markierungen. Ich sehe nur rote Punkte und glaube schon, am völlig falschen Berg unterwegs zu sein. Abgeblätterte Farbe löst die Verwirrung auf. Einige, nicht alle, der blauen Markierungen wurden rot übermalt. Ob da wohl im Sinne von C.G. Jung die Typisierung verändert wurde?
Die Kletterei beschäftigt mich schon sehr. Am Ende des zweiten Geröllfeldes steilt das 8m-Wandl auf. Erste Eisenbügel kommen ins Spiel. Ich gestehe mir ein, dass ich ohne die Dinger vermutlich deutlich mehr schwitzen müsste, nicht vor Anstrengung, sondern vor Angst. Vor lauter Konzentration versäume ich sogar das Flimmerkistendach näher in Augenschein zu nehmen. Plötzlich stehe ich also in der Scharte. Nach vorne geht es nur noch abwärts. Wieder so eine Abbiegeentscheidung! Nun, ganz spontan geht es wider besseren Wissens zuerst nach 'rechts' auf die Hintere Kalrspitze.
In meinem Rücken spielt sich schon ein großartiges Panorama ab. Ich bin jedoch noch mit der letzten, kürzeren Kletterstelle befasst und kann das Ganze dann wenig später vom Gipfel aus genauer bestaunen.
Von der Hinteren Goinger Halt dringen lebhafte Frauenstimmen durch, doch ansonsten spüre ich die Freiheit der Berge. Alleine und in aller Stille teile ich Studentenfutter mit einer einzelnen Dohle, die mich zielsicher angeflogen hat. Vögel sind ja so gute Zuhörer...
Dann packt mich wieder der Bewegungsdrang und es geht weiter zur Vorderen Karlspitze. Es ist ein kurzweiliger Übergang, der doch noch ein paar Kletterstellen parat hält. Der Lohn dafür sind wunderbare Einblicke in den Ostteil des Gebirges, der Ausblick auf den schneebedeckten Hauptkamm und der schneidige Kopftörlgrat.
Stimmen reißen mich aus meiner Kontemplation. Ach, das sind ja Kerls. Die Zwei stehen vor einem der großartigsten Panoramen der nördlichen Kalkalpen und labern ständig nur vvon Zermatt, Matterhorn und Breithorn. Zum Glück dauert ihre Gipfelrast nicht sehr lang.
Im Ellmauer Tor herrscht jetzt bereits Hochbetrieb. AHA wird jetzt schon schwierig. Eine Schuttreise führt mich in stillere Gefilde und auch schneller bergab.
Ein letztes Mal wende ich den Blick zurück und tauche dann in den Latschengürtel ab. Nicht viel später als der übliche, samstägliche Probealarm bin ich zurück beim Auto und fahre Heim, während andere gerade erst aufbrechen....