HELSINKI - Teil 3/4

Reif für die Insel

Nachdem der Tag gestern im sich eher auf das Zentrum der Stadt konzentriert hat, soll es heute raus gehen. Das Ziel ist die Insel Suomenlinna, die Helsinki in südöstlicher Richtung vorgelagert ist. Suomenlinna gehört zum UNESCO-Welterbe und ist ein vorzügliches Beispiel für den Bau und die Erweiterung von Festungsnalagen seit dem 18. Jahrhundert.
Mein militärisches Interesse ist allemal geweckt.

Und dann ist da ja auch noch die schönherbe Landschaft bei erneut bestem Winterwetter...

Fangen wir mit dem unangenehmen Teil an. Ich brauche Nasenspray. Finnische Apotheken unterscheiden sich dabei kaum von den deutschen. Auch hier wird man beim Erwerb von Nasenspray wie ein Drogenabhängiger behandelt. Egal, endlich ist die Nase frei und ich marschiere direkt zum Hafen. Zufällig komme ich dabei auch wieder am Dom vorbei...

Das Hafenbecken ist noch von den Eisschollen verstopft, die der Wind über Nacht hereingetrieben hat. Zun ächst versthe ich nicht, warum eine Art Schlepper im Hafenbecken vor dem Marktplatz Kreise dreht. Das ist gar kein Schlepper, sondern ein Eisbrecher. Der quirlt das Eis, damit wir gleich mit der Fähre übersetzen können.


Beim Besteigen der Fähre kontorlliert niemand die Tickets bzw. meine Helsinki-Card. Die Zugänge stehen auf grün. Einer von der Besatzung winkt mir, dass ich doch endlich einsteigen solle. Von der Gelassenheit der Finnen werde ich abermals überrascht.


Die Überfahrt dauert nicht lange, gerade einmal 15 Minuten. Am Bug weht einem ein eisiger Wind ins Gesicht. Überhaupt sinkt die Temperatur mit jedem Meter, den man sich von Helsinki entfernt, rapide ab. Die Eisschollen scheppern heftig am Rumpf unseres kleinen Vessels. Manchmal türmt eine Scholle sich vor uns auf, manchmal taucht sie leise und elegant seitlich unter das Eis...

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Auf der Insel geht es zu Fuß weiter. Ich will natürlich zur Südspitze und tappe dabei immer wieder versehentlich in die Hinterhöfe bewohnter Gebäude. Finnen sind Pragmatiker. Nachdem Suomenlinna ihre Funktion als Festung und später Gefangenen-lager verloren hatte, haben die Finnen die Liegenschaft kurzerhand übernommen. Heute leben etwa 600 Menschen dort, ca. 100 davon sind Kinder.

Einen spannenden Schulweg haben die ja...


Plötzlich verwandelt sich die Szene. Die Gebäude werden weniger und rostige Kanonen deuten auf die Ostsee.

Hier beginnen nun die äußeren Verteidigungsanlagen. Die Kanonen sind z.T. in der Tiefe gestaffelt, damit über tiefer gelegene Geschütze hinweggeschossen werden kann. Der Blick reicht weit. Einen sich von der See nähernden Feind kann man fast eine Stunde vor Eintreffen ausmachen.


In der Ferne kann auch ich riesige Schiffe ausmachen. Das sind die Fähren aus Tallinn. Noch sind sie Schatten am Horizont. Ich muss mich beeilen, um die ins Bild setzen zu können. Ich vermute zunächst, dass die Schiffe westlich von mir vorbeifahren werden. Dann kommt es mir so vor, als würden sie direkt auf die Insel zuhalten, um dann tatsächlich ganz knapp im Osten zu passieren.

Die Fahrrinne ist schmal, so schmal, dass ich sie als solche gar nicht wahrnehme. Ich dachte da wäre noch mehr Insel, aber es ist nur die nächste Insel. Mit einem irren Tempo fahren die Ostseefähren vorbei. Eine Landratte, wie ich eine bin, ist von der Größe mächtig beeindruckt.


Ein Besuch des Inselmuseums lohnt sich (aber nicht wegen des Filterkaffees).

Es geht zurück nach Helsinki. Das Innere des Doms möchte ich unbedingt noch sehen. Evangelische Kirchen sind ja oft sehr spartanisch eingerichtet. Die Leuchter erzählen jedoch etwas ganz anderes.


Auf einer Kirchenbank schläft einer. Ob der vom letzten Gottesdienst übrig geblieben ist?


What's next. Im 'Museum of Photography K1' werden gerade die Arbeiten von Daido Moriyama gezeigt. Helsinki ist eben eine Weltstadt. Moriyama würde es nie in das provinzielle München schaffen.

Die Bilder faszinieren mich. Moriyama ist schwere Fotokost und ihn zu kopieren erscheint mir unmöglich.

Reden wir kurz einmal übers Essen. Ich sitze im Cafe Ekberg und lasse mir Zimtschnecke und Puddingkringel schmecken. Am Nachbartisch isst einer Fleischbällchen mit Kartoffeln. Die Soße ist ein undefinierter Matsch. Und das ist auch schon meine Kritik an Helsinki und Finnland. Eine eigenständige und gute Küche haben die nicht. Rentierkebab wird auch nicht dadurch besser, dass man es Kebab nennt. In Helsinki habe ich mehr Pizza gegessen als bei manchen Aufenthalt in Italien. Helsinkis Chinesen kochen auch sehr gut.

Es wundert mich im Nachhinein nicht wirklich, dass in Finnland Filme wie "Master Chen in Pohjanjoki" entstehen!


Übrigens, das Konzept Trinkgeld ist hier unbekannt. Vermutlich wird das Personal gerecht bezahlt. Bargeld kann man in Helsinki auch nicht gebrauchen. Alles lässt sich mit "my flexible friend" bezahlen, auch eine einzelne Packung Kaugummi oder eine Sitzung auf dem sehr gepflegten Bahnhofsklo...

Am Nachmittag mach ich noch einem Abstecher zum Länsisatama-Hafen, um ein wenig mit dem shift-adaptierten 28mm f/2.8 MD W.ROKKOR zu experimentieren. Wenn man sich ganz auf dieses Thema einlässt kann eine beachtliche Reihe sehr brauchbarer Fotografien entstehen. Ich nehme mir jetzt schon vor morgen ausschließlich so zu fotografieren und das universelle Reisezoom einfach im Rucksack zu lassen...


Die Bilder gleichen sich. Auch hier werden die alten Speichergebäude in Büro- und Wohnhäuser transformiert. Dass sich hier einmal ein belebter Warenumschlagplatz befunden hat, daran erinnern nur die alten, stillgelegten Kräne, die man weiterhin in das neue Stadtbild integriert.

Würde bei uns wahrscheinlich wegen irgendwelcher Sicherheitsauflagen bestimmt wieder nicht funktionieren...

Fotografiere ich Hotels, von innen? Eigentlich nicht, aber seit der Toilette von Jason Kummerfeldt stehe ich dem Thema offener gegenüber. In meinem Hotel faszinieren mich die Lampen. Lampen sind besonders wichtig in einem Land mit langen, dunklen Wintern.


Lampen können die Lappen gut!


Zing • 11. März 2024