Bergtour über die höchsten Gipfel der Soierngruppe

geografische Einordnung:


erreichte Gipfel:



weitere Wegepunkte:

Talort(e):


Schwierigkeiten:

Höhendifferenz Aufstieg/Abstieg:

Distanz:


Zeitbedarf inkl. Pausen:

Karwendel - Soierngruppe


Soiernspitze 2.257m, Soiernschneid 2.174m, Reißende Lahnspitze 2.209m, Feldernkopf 2.071m, Schöttelkarspitze 2.050m, Seinskopf 1.961m, Signalkopf 1.895m, Lausberg 1.855m

Krinner-Kofler-Hütte, Feldernkreuzscharte

Parkplatz Seinsalm


Wandern: T4-         Klettern UIAA: I         Klettersteig: -/-         Schneeschuhe: -/-

1.900m / 1.900m

21,7km


10h30m

Meine letzte Überschreitung liegt viele Jahre zurück, sehr viel Jahre. Das alte, verwesende Tourenbuch spuckt den Oktober 1994 aus. Damals konnte man noch gegen eine einfache Handwerksdienstleistung bei Stephan und Silke logieren und sich den Bauch mit Nudeln vollstopfen. Die Erinnerungen an diese noch unbeschwerte Zeit verkürzt mir heute die Anfahrt. Ich staune nicht schlecht, als ich die letzte Premiumparklücke ergattere. Ringsum räkeln sich Wohnmobile sowie Campingbusse und erwachen aus einem unruhigen Schlaf. Es duftet nach Kaffee und Löffel klappern in Müslischüsseln. Frühstück ist nur etwas für die Schwachen…

Die breite Forststraße zur Krinner-Kofler-Hütte ist irgendwie steiler als im vergangenen Jahr oder gar vor 26 Jahren. Vielleicht nimmt ja die Entropie der Berge mit der Zeit zu und deshalb werden alle Wege steiler. Wahrscheinlich werde ich aber einfach nur alt. Memo an mich selbst: ‚Neun von zehn Mountainbikes sind elektrisch.‘

Nach 1:40h passiere ich die Krinner-Kofler-Hütte. Zwei Einheimische bellen sich an. So klingt es zumindest für meine Ohren. Der Weg zieht sich durch Latschen bis zum Jöchel. Dort betritt man freies Gelände und biegt nach links zur Soiernspitze ab. Die erreiche einschließlich aller Fotostopps und einer 15-Minutenpause nach 3 ½ Stunden. Von nun an kann ich völlig entspannt und zeitlos den langen Rückweg über die höchsten Gipfel der Soierngruppe antreten.

Der weitere Weg ist breit, ja fast schon bequem, und hält sich meist etwas südlich unterhalb der Kammlinie. Hin und wieder gibt es Spuren, die direkt der höchstmöglichen Linie folgen. Wenn es zu schwierig wird, dann führt die Spur immer wieder zurück auf den breiten Weg.
Kurz unter der Reißenden Lahnspitze biegt der Weg ganz plötzlich nach rechts ab. Nur die wenigsten Bergsteiger biegen noch mehr rechts ab und folgen den deutlichen Spuren (T3+, kurz I) auf den mit einem, nennen wir es einmal Steinhaufen geschmückten Gipfel.

Von der Reißenden Lahnspitze visiere ich bereits das nächste Ziel an, die Soiernschneid. Eigentlich muss man nur hinab in die Scharte zwischen beiden Gipfeln und dann über einige wenige Felsstufen auf den Gipfel. Ich denke einfach zu viel. Während ich über das Darauf noch nachdenke, habe ich den Abzweig bereits längst verpasst und stehe auf der Westseite der Soiernschneid. Umdrehen mag ich nicht. Deshalb quäle ich mich über Schutt und Geröll nach oben (T4-). Viele Menschen besuchen diesen Gipfel nicht. Die Spuren der Gämsen sind zahlreicher als die einer Vibramsohle. Auch gibt es mehr tierische denn menschliche Exkremente. Könnte gut möglich sein, dass viele Gelegenheitsbergsteiger behaupten hier gewesen zu sein, obwohl sie den Gipfel auf dem Wanderweg nicht einmal ansatzweise berührt haben.

Weiter im Programm. Der Feldernkopf liegt auch wieder etwas abseits des Weges. Ein kleiner aber deutlicher Pfad zweigt rechts ab und führt quasi en passant auf den unscheinbaren Buckel. Das Gebirge wird hier bereits lieblicher und auch grüner. Die Begegnungen werden noch zahlreicher.

Nur wenige Schritte weiter vernehme ich ungewöhnlichen Lärm hinter einem Latschenstrauch.

utz utz Utz Utz Utz Utz.

Drei teilentkleidete und tätowierte Gestalten pennen bei lautem Techno in der prallen Sonne.
„He, macht die Mucke aus ihr Spasten!“ Keine Reaktion.
In einer spontanen Gewaltphantasie hole ich die 45er aus dem Wanderholster und bringe den lärmenden Apparat mit einem ostentativen Deutschuss zur Strecke. Damit jetzt keine Missverständnisse aufkommen, selbstverständlich verwende ich einen Schalldämpfer, um die Stille der Berge nicht durch mein Herumgeballer zu stören. Außerdem sind die Geschosse und Hülsen biologisch abbaubar…

Aber leider ist es nur ein Traum. Deshalb stecke ich die 45er ohne Schalldämpfer zurück in den Wanderholster und suche umständlich nach einer Messinghülse…

Utz Utz Utz Utz utz utz ts ts s s.

Man nähert sich dem Feldernkreuz. Es wird nicht leiser, eher lauter und die People noch zahlreicher. Ich lasse diese Gipfel aus und warte an der nahe Scharte auf mein Foto ohne wildfremde Menschen. Eine eifrige Hundeführerin gibt ihrem Fiffi beim Übergang zur Schöttelkarspitze kurze und knappe Anweisungen: „Nein – weiter – stopp – weiter – hier – da …“ Irgendwie fühle ich mich angesprochen und bin froh als ich völlig irritiert über ein allerletztes Schneefeld abkürzen kann, um schnell Land zu gewinnen.

Auf der Schöttelkarspitze gibt es keine Sitzplätze mehr. Nur noch Stehplätze. Es dauert nicht lange, da bekomme ich auch schon die erste Kamera, eine ‚verhasste‘ RX100, in die Hand gedrückt. Nur kurz denke ich darüber nach, ob der Auslöseknopf möglicherweise mit Corona-Viren verseucht … ach, das ist jetzt auch schon egal. Da drückt mir schon der nächste Gelegenheitswanderer in seinen Chucks das Eifon in die Hand. „Geschenkt? Nee, war nur ein Witz! Wie immer mit Gipfelkreuz und schön scharf?“
Ganz zum Schluss kommt auch die Hundehalterin an die Reihe und gibt mir ihr Handy. Ich halte kurz inne und erwarte schon ihre kurzen und knappen Anweisungen: „Hier – Handy – Foto – Du – jetzt …“

Zurück in der Feldernkreuzscharte schaue ich nur kurz zurück. Einsamkeit lässt sich hier und heute nicht mehr finden.

Der direkte Weg auf den Seinskopf stellt die letzte alpinistische Herausforderung dar. Es darf sogar noch einmal Hand an den Fels gelegt werden. Man hätte auch weiter unten, auf dem breiten Weg … warum einfach, wenn man sich doch die Lunge aus dem Torso kotzen kann …

Über Signalkopf und Lausberg führt der etwas stillere Abstieg, die meisten Leute wählen schließlich den leichteren Weg zur Ochsenalm.

Die Heimfahrt dauert lange. Stau in Garmisch und München. Man ist ja nicht allein auf der Welt. Auf der Fahrspur links von mir hüpft ein tiefergelegter VW Golf: Utz Utz Utz Utz Utz …



Meine persönliche Randnotiz zur Fotografie:


Basis war das CLASSIC-CHROME-JPG-Rezept, allerdings mit ST+1 und HT+1, also etwas mehr Kontrast. Das ist ganz i.O. lässt aber kaum noch Raum für spätere Anpassungen der Tonwertkurve.
Völliger Blödsinn war hingegen die Spielerei an der AWB mit B-1 und R+3. Das Ergebnis schaut viel zu sehr wie Kodachrome aus; der Rotkanal war immer in der Sättigung, was kaum noch korrigiert werden konnte.
Das Polfilter und Fujis CLASSIC-CHROME-Simulation vertragen sich auch nicht so gut. Das Blau erscheint dadurch irgenwie schmutzig. Obacht, der Polfilter erzeugt eine zus. Vignette mit ca. -1/3 EV, Blende 8.0 muss es am Standardzoom also schon sein.


Zing • 1. Juni 2020