Bergtour/Klettersteig Kesselkogel

Gipfelglück bei Sonnenschein

In einer Kiste mit Akten finde ich alte Tagebücher von irgendeinem Paar, das durch Europa gereist ist. Und was hat das nun mit den angeblich unbearbeiteten Unterlagen zu tun? Wieso führt sich der Hauptmann so auf? Ich solle nicht so blöde fragen und endlich meine Arbeit machen, die ja nun schon seit Jahren liegengeblieben sei! ...
Da weckt mich ohrenbetäubender Lärm aus diesem surrealen Traum. Ich öffne mit Gewalt die verklebten Augen, doch das ist ja gar nicht mein Wecker. Was ist das überhaupt für ein Weckton? Welcher Idiot kann denn das Ding nicht endlich abstellen. Wolfgang schaltet das Licht im Zimmer ein und murmelt, dass ich doch endlich den Wecker abstellen soll. Ist aber gar nicht mein Wecker. Seiner auch nicht. Da wird uns plötzlich klar, dass der Wecker der Hahn der Grasleitenhütte ist, also ein echtes männliches Huhn.
Pünktlich um Viertel nach sechs, mitteleuropäische Sommerzeit! Ich wünsche mir Brathähnchen zum Frühstück!

geografische Einordnung:


erreichte Gipfel:

weitere Wegepunkte:

Talort(e):


Schwierigkeiten:

Höhendifferenz Aufstieg/Abstieg:

Distanz:


Zeitbedarf inkl. Pausen:

 Dolomiten - Rosengartengruppe


Kesselkogel 3.004m

Grasleitenhütte, Grasleitenpasshütte, Pas de Antermoia

Parkplatz Weißlahnbad


Wandern: T3       Klettern UIAA: I        Klettersteig: B         Schneeschuhe: -/-

1.820m / 1.820m

-/-


10h30m (Gehzeit ohne Übernachtung!)

Wir sind am Vortag von Weißlahnbad zur Grasleitenhütte aufgestiegen und haben uns den Rest des Tages mit einer Aklimatisationsrunde im Kessel vertrieben. Heute ist uns der Kessel jedoch nicht mehr genug. Jetzt muss es schon der Kesselkogel sein.

Der tierische Wecker hat unseren Zeitplan erheblich beschleunigt. Nach einer Stunde stehen wir bereits auf dem Grasleitenpass und bestaunen die Rosengartenspitze, die im Morgenlicht leuchtet. Wir legen das Gurt und Klettersteigset an und setzen den Helm auf, also jeder einen natürlich.
Ein Gruppe junger Holländer mit wenig bis gar keinem Rucksack tut es uns gleich. Wir lassen sie ziehen, damit wir unsere Ruhe bei diesem 'schwierigen' Aufstieg zum Kesselkogel.

Der Steig beginnt mit einem Zick nach links. Das alte Drahtseil ist hier demontiert worden. Man müht sich über ein bequemes Band, das von kleinsplittrigem Splitt bedeckt ist. Wolfgang nestelt erneut am Rucksack herum, aber wir haben ja Zeit.
Plötzlich endet das breite Band und man wendet sich um einen Felsen herum in eine Nische, die im Zack nach rechts führt. Eine Leiter hatte ich noch im Topo vor meinem geistigen Auge im Kopf. Mir war nur nicht mehr bewusst, dass wir darüber absteigen müssen. Wie dem auch sei, gelangen wir so auf ein noch breiteres Band, das uns weiter nach oben führt.
An einer Engstelle stauen sich die jungen Holländer und lassen uns passieren. Man grüßt sich. Sie nuscheln sich etwas zu. Na hoffentlich verstehen die sich wenigstens untereinander...

Das breite Band leitet uns zu einer Rampe, die letztendlich auf ein weiteres Bändersystem mit erneutem Zick nach links führt. Wer hätte es anders gedacht, folgt auch auf dieses Zick ein erneutes Zack und zwar nach rechts. Wirklich schwierig ist es jetzt nicht mehr. Selbst meine gebrochene Rippe meldet sich heute nicht mehr mit Seitenstechen bei mir. Ein letes kurzes Zick aufwärts und wir stehen auf dem nördlichen Gipfel mit kleinem Gipfelkreuz.

Im Bogen nach rechts, also ein weiteres Zack, gelangen wir über den nur spärlich mit Klammern gesicherten Grat zum Hauptgipfel mit ganz großem Gipfelkreuz. Bis hierher lässt sich die Route wie folgt zusammenfassen: Zick-Zack-Zick-Zack-Zick-Zack. Das dauert ca. 90 Minuten.

Wir sind besoffen von den schier endlosen Ausblicken. Der Wettergott ist gnädig und schenkt uns Sonnenschein. Vielleicht war das Weckerhähnchen vom heutigen Morgen sogar ein Wetterhahn?!

Wir bleiben lange hier oben. Die Fotoapperate klicken pausenlos. Wir brechen erst wieder auf, als uns eine leichte Brise so richtig ausgekühlt hat. Da hilft nur noch Bewegung, einen kurzen Abstecher auf den südlichsten Gipfel inklusive.

Die Sonne, ein durchschnittlicher Hauptreihenstern der Leuchtkraftklasse V im Hertzsprung-Russell-Diagramm, auf keinen Fall ein Planet, wie manche behaupten, brennt erbarmungslos auf den ostseitigen Abstieg. Auch hier ist der Klettersteig mit neuen Drahtseilen und Bügeln ausgestattet worden. Scheint eine italienische Arbeit zu sein, da einige Stifte schon durch den ersten Frost gebrochen wurden...
Die Ostseite ist etwas schwieriger, ca. A/B, im Vergleich zur Westseite. Warum das Auftauchen einer Leiter immer gleich zu einer Schwierigkeitsbewertung B führen muss, werde ich in diesem Leben nicht mehr verstehen wollen, aber hochoffiziell ist das nun die Bewertung des Klettersteiges über den Kesselkogel.

Ein Abkürzer führt uns schnell auf den Antermoiapass. Nach der halben Umrundung des Kesselkogels lösen wir uns endlich von der phänomenalen Aussicht, steigen wieder in den Kessel und zur Grasleitenhütte ab und werden dort mit einem nachträglichen Gipfelschnaps begrüßt!
Was für ein perfekter Tag, wenn da nicht noch der lange Hatscher zurück nach Weißlahnbad wäre. Aber auch das vergeht wie im Flug.

Eigentlich war das nur eine Ausweichtour, weil meine Sportverletzung(!) eine andere Klettertour vereitelt hat. So aber sind Wolfgang und ich dann tatsächlich zu unserem ersten Dreitausender in diesem Postcorona-Jahr 2021 gekommen. Nicht schlecht, ja sogar richtig gut...


Zing • 14. September 2021