Bergtour Gimpel und Schneidspitze
Die Relativität der Schwierigkeiten
Nach einer Stunde Gehzeit erreiche ich bereits das Gimpelhaus. Aus der Bergunterkunft tönt eine Kakophonie aus klapperndem Frühstücksgeschirr und Gurgeln nach dem Zähneputzen. Da husche ich lieber unbemerkt vorbei.
In den Südwänden werden bereits laut Seilkommandos ausgetauscht. In jedem 'Stand' schwingt auch ein wenig Erleichterung mit. Die Gämsen unter dem Gimpel sind davon wenig beeindruckt und schauen mich kauend an. Als sich aber von hinten zwei mit Hund nähern, sind sie schnell davongesprungen. Ich hatte gerade die Kamera hervorgeholt...
Apropos Kamera - keine Angst, das wird jetzt keine ausufernde Fotonotiz - heute habe ich die X100V mit ihrem Festbrennweitenäquvalent von 35 mm dabei. Mehr Weitwinkel geht also nicht. Dann entscheide mich noch für das KODAK-ULTRAMAX-Rezept mit seinem sehr deutlichen Korn (large, strong). Damit sind auch mögliche Ausschnittvergrößerungen nicht möglich. Mal schauen, ob solche Einschränkungen meine Kreativität und mein Improvisationstalent beflügeln.
Ich habe mittlerweile den Helm auf und befinde mich auf den ersten Metern eines Felsaufschwungs, der zumindest einfaches Klettern (I) abfordert. In Thomas Ottos 46 MÜNCHENER BERGTOUREN zählt der Normalweg auf den Gimpel zu den leichteren Touren. Allerdings wird er noch etwas schwieriger als die Hackenköpfe oder die Naunspitze eingeordnet. Als ich den Felsaufschwung durch eine Rinne verlasse und auf die lange Wiesenrampe trete, frage ich mich schon, ob die Schwierigkeiten später noch auftauchen werden.
Nein, nach Erreichen der Gratschulter geht es in anregender, jedoch nie wirklich schwieriger oder ausgesetzter Kletterei über den kurzen Ostgrat in einer knappen viertel Stunde zum Gipfel. Ab dem Parkplatz im Tal (wo sonst?) habe ich bis hierher dann 2h20m benötigt. Nice bzw. nett!
Es ist windig hier oben auf dem Gimpel. Obwohl ich den Gipfel ganz für mich alleine habe, will keine rechte Pausenlaune eintreten. Noch wechseln sich Sonne und Wolken stetig ab. Eine voll ausgeleuchtete Szene zu fotografieren ist ein sehr anspruchsvolles Unterfangen. Könnte aber sein, dass mir doch ein paar schöne Bilder gelungen sind. Es ist Zeit für den Abstieg.
Auf dem Ostgrat begegne ich den ersten beiden jungen Damen Frauen, die den Mund auch nicht zum Grüßen aufbekommen. Der Gegenverkehr wird stärker und lauter. Die letzten Gämsen flüchten in ruhige Steilhänge.
An der Ausrüstung der Entgegenkommenden scheiden sich die Geister. Die eine Hälfte trägt Helm, die andere Hälfte nicht. Nur gut, dass Steine nur von denen ohne Helm losgetreten werden...
Um 10:00 Uhr hocke ich schon wieder am Einstieg. In weniger als zwei Stunden könnte ich wieder am Auto sein. Aber da ist ja noch die Schneidspitze, deren T4-Geheimnis unbedingt gelüftet werden muss.
Der 'schnelle' Übergang unter den Südwänden von Zwerchenwand, Schäfer, Kellenspitze, Babylonischem Turm und Kellenschrofen zum Sabachjoch nimmt immerhin 1h30m in Anspruch. Da Schneidjoch macht optisch jedefalls viel her, wirkt aber durch das üppige, grüne Fell harmloser, als es tatsächlich ist. Aus dem Sabachjoch geht es zunächst sehr steil höher. Noch kann man höchstens von T3 sprechen. Dann aber geht man um einen unübersichtlichen Buckel herum und steht sogleich vor der schroffigen Crux der Tour. Der Pfad schnürrt sich unter einem scharfen Gratzacken bis zur Unkenntlichkeit zusammen. Auch dahinter wird es zwar etwas leichter jedoch nicht weniger ausgesetzt. Zu beiden Seiten könnte man ausgiebige Rutschpartien auf nassem Gras bis ins Tal unternehmen.
Als das Gelände harmloser wird, nimmt auch wieder die Anzahl der schweinemäßig nervigen Touristen zu. Auf dem Gipfel ist zu wenig Platz für die vielen 'Geübten', die sich hier tummeln. Zu viele, lästige Fliegen gibt es noch dazu. Das T4-Rätsel ist gelöst und ich suche daher den Abstieg nach Süden. Der ist zwar auch als T4-Weg eingezeichnet, aber tatsächlich eher unter T3 einzuordnen.
An der Schneetal Alm erleide ich einen schweren Kulturschock. Mir ist auch das zu viel. Zu viele Menschen, zu viele Kinder und vor allem zu viel Blasmusik! Der weitere Weg ins Tal ist endlich etwas Neues, mal nicht so steil wie der Weg vom Gimpelhaus. Meine Knie sind dankbar. Ich bin dankbar für den schönen Tag am Berg.
Ja, und die Bilder? Ich möchte das Experiment gelungen nennen! Mir gefällt das giftige Grün. Und das grobe 'Korn' hinterlässt fast schon den Eindruck impressionistischer Malerei!
Ja, und was ist jetzt an den Schwierigkeiten relativ? Nun, der Gimpel ist für die Bewertung UIAA I-II relativ einfach, während der Grasberg Schneidspitze für einen durchschnittlichen Bergwanderer schon relativ schwierig ist.