Auf vielfach gedanklichen Umwegen auf die Tresenta
"Wart ihr schon mal im Aostatal?"
Der neue Plan schließt Gran Paradiso und das Breithorn zu einer eigentlich lockeren Rundreise zusammen. Zu blöde, dass Bernhard schon auf dem GP war und Frank unter einer satten Nordwestwand gar nichts anderes akzeptiert. Also lautet die neue, eigentliche Planung: Gran Paradiso nach Möglichkeit über die NW-Wand und später eigentlich weiter ins Val d’Ayas.
Die Anreise durch die schöne Schweiz verläuft komplett im Regen. Ich summe leise das Lied von Vico Torriani vor mich hin: „… im Sommer da regnets, im Winter da sch…“ Erst in der Tunnelmitte des Gr. St. Bernhard hört der Regen endlich auf. Das Aostatal empfängt uns mit einem Mix aus Sonne und Wolken. Prompt kommt mir die Figur des Rocco Schiavone in den Sinn. Hoffentlich bleiben uns ‚die schweinmäßig nervigen Sachen der Stufe zehn‘ erspart!
Nachmittags um vier noch schnell etwas essen zu wollen, in Italien, zeigt einmal mehr, was wir doch eigentlich für Anfänger sind. Immerhin schafft es Frank für uns 1,5m gemischte Schinken- und Käseplatte zu organisieren. Damit ersparen wir uns das erste Kochen im Winterraum.
Kurz vor Pont staut sich dann plötzlich ein einzelner VW-Bully mitten auf der Straße. Welch ein Schreck! Ah, Steinböcke nur eine Armlänge entfernt! Eine eigentlich nicht geplante und doch sehr schöne Begegnung.
Die Rucksäcke wiegen schwer, obwohl wir „nur“ die Eisausrüstung und das Essen für einen einzigen Tag mitschleppen, weil wir ja schon Übermorgen eigentlich weiter ins Val d’Ayas weiter wollen.
Der Aufstieg zur Rifugio Vittorio Emanuele II verläuft noch weitgehend schneefrei. Als wir dann endlich die Hütte sehen und eigentlich nur noch ein letztes Schneefeld überqueren müssen, erlebt Frank seinen persönlichen Wintereinbruch bis zum Hosenboden. Auf den letzten Metern müssen dann doch noch die Schneeschuhe herhalten.
Wir richten uns in unserem Winterraumapartment gemütlich ein, sortieren Ausrüstung, trinken Tee, da kommen dann doch noch zwei Neue an. Angeblich hätte der eine schon gar nicht hierher aufsteigen dürfen, weil er sich sehr krank fühlt. Ob er die kommende Nacht überleben wird? Nun ja, der Wortschwall stirbt bekanntlich zuletzt… Seinen Whatsapp-Gruppen-Bergkameraden übergibt er jedenfalls schon mal vorsorglich für die Besteigung der GP-NW-Wand in unsere Obhut.
Um zwanzig nach elf ist dann endlich Ruhe. So richtig lange und tief kann ich gar nicht schlafen. Um vier Uhr klingelt auch schon wieder der Wecker. Wir spielen ‚Reise nach Jerusalem‘ im engen Winterraum und brechen dann zu viert (der erkrankte Kamerad lebt glaube ich noch, ja er sagt sogar noch etwas) um halb sechs in Richtung der Nordwestwand des Gran Paradiso auf.
Das umliegende Wetter gibt zunächst Anlass zur Hoffnung. Nur der Gran Paradiso will sich nicht zeigen. „Das wird sicher noch besser!“ „Ja, ja.“
Nein wird es nicht. Nach ca. 2h zieht es immer mehr zu. Die eigentlich vorgesehene Nordwestwand wird bereits zu den Akten gelegt. Vielleicht schaffen wir es ja noch zum Normalweg, der auch von der Chabot-Hütte hinaufführt, hinüber. Aber knapp oberhalb der 3.400m Höhenlinie ist dann Schluss. Wir kehren enttäuscht, aber mit unserem Entschluss glücklich, wieder zur Hütte und unserem erstaunlich komfortablen Winterraum um. Wir treffen dort um viertel nach neun ein.
Unser todkrank geglaubter Kamerad unterhält bereits die zahlreichen Nachbarn und Neuankömmlinge ganz vorzüglich. Wir gammeln ein wenig auf der Terrasse herum. Frank ist nicht so ganz glück darüber, morgen schon unverrichteter Dinge weiter zu einer eigentlich viel zu einfachen Gletscherwanderung auf das Breithorn aufbrechen zu müssen. Innerhalb von nur drei Stunden wird der zweite eigentliche Plan über den Haufen geworfen. Berni und ich können ja heute noch eben auf die Tresenta, Frank holt Essen vom Auto und morgen probieren wir zu dritt nochmal die NW-Wand. Den Walliser Grenzkamm können wir auch noch am Samstag besuchen, aber das wäre schon zu weit gedacht…
Wann bin ich eigentlich das letzte Mal mittags um halb ein Uhr zu einem satten Dreitausender aufgebrochen? Die nächsten dreieinhalb Stunden werden jedenfalls kein Ponyschlecken. Berni hat den Weg eigentlich auch viel leichter in Erinnerung…
Feuchter Schnee kann grausam sein! Warum wird man eigentlich von den wenigen Sonnenstrahlen, bei ansonsten durchschnittlichem Wetter, immer genau getroffen? Egal, wir erreichen durchschwitzt aber glücklich unseren Halbtagesdreitausender, La Tresenta (für die weniger sprachbegabten Teilnehmer der Kleingruppe wird das schnell zu Tiramisu).
Frank hat die weitere Versorgung mit Essen sichergestellt. Die Hütte wird von einem süßlichen Duft umspielt (ich Dummerl). Froh darüber, dass unser fünfter Kamerad so rasch genesen ist, erhalten wir bei Nudeln unseren persönlichen, verbalen, letzten Grivel-Schliff für die Nordwestwand des Gran Paradiso.
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