Bergtour Realspitze und Hoher Riffler
Unterm Federbett hört niemand dein Schnarchen!
Nun einfach mal probieren. Von Beginn an war jedoch klar, dass das nicht unbedingt an einem Tag durchgezogen werden kann. Entweder muss die Friesenberghaus zur Übernachtung herangezogen werden oder es kommt zum Biwak. Das wäre nicht schlimm. Also vorsichtshalber die Biwakausrüstung eingepackt. Die Zahnbürste erscheint zur Gepäckreduzierung dann doch wieder verzichtbar.
Die Route war schnell im Gedanken zurecht gelegt: Start am Ghf. Breitlahner, hinauf zum Eissee und über die Reste vom Hauser Kees zur Realspitze. Von dort an den Fuss des Federbettkees, hinauf zum Hohen Riffler und Abstieg zum Schlegeisspeicher, dann mit dem Bus zurück zum Breitlahner.
Lässt sich schneller ausdenken als tatsächlich laufen.
Am Samstag ging es dann um 08:30 Uhr vom Breitlahner aus los. Zunächst zwei kurze Kilometer an der Straße in Richtung Ginzling entlang, bis der Weg dann am Abzweig Rosshag steil nach links ansteigt. Bei dem warmen Wetter ist so ein SO-seitiger Anstieg nicht unbedingt ein reines vergnügen. Nur gut, dass der Weg bis zur Birglbergalm noch meist im Wald verläuft. Wenige Schritte vor Erreichen der Birglbergalm durchschreitet man dann noch ein Felsentor. Ein überraschendes Highlight dieses Zuistiegs zum Berliner Höhenweg.
Von der Birglbergalm zur Kesselalm wirds dann richtig heiß. Anstieg in der prallen Sonne und durch Latschengassen. Erst an der Kesselalm , bei Erreichen des Berliner Höhenwegs, bewegt sich wieder die Luft.
Ab der Kesselalm wandert man noch ca. 300m auf dem Berliner Höhenweg in Richtung Norden und biegt dann einfach links nach oben ab. Noch kurz die Peilung genommen und ab durch einen sehr, sehr steilen Wiesenhang, der sich erst etwas zurücklegt, wenn man auf ca. 2.300m ein von Menschen angelegtes Mäuerchen erreicht.
Was nun folgt kann man auch Hochtal der hundert Tümpel nennen. Zentral liegt darin der Eissee, der als einziger in der AV-Karte einen Namen trägt. Bizarr erscheit auch eine Seilbahngondel, die vermutlich den Schafhirten als Notunterkunft oder mindestens als Abstellkammer dient.
Die höchste Lacke erreicht man auf ca. 2.750m. Dort wendet man sich direkt in westliche Richtung und steigt zu dem nordöstlich der Realspitze gelegenen Sattel auf. Was für eine Überraschung. In der AV-Karte ist dort das kleine Hauser Kees eingezeichnet und das gibt es wirklich noch. Ich hatte geglaubt, dass es schon längst der Klimaerwärmung zum Opfer gefallen sei. Vor lauter Freude hole ich für die zehn Minuten der Überquerung (L) die Steigeisen aus dem Rucksack. Man hätte das Hauser Kees jedoch auch an seinem nördlichen Rand im Schutt umgehen können.
Das Hauser Kees leitet einen bis fast zum P.3019m. Dort angekommen muss ich erst einmal tief durchatmen. Bis zum eigentlichen Gipfel der Realspitze sind dann doch noch 200m Entfernungsmeter und 20 Höhenmeter auf einem wackeligen Blockgrat zurückzulegen. Das kostet nochmals eine halbe Stunde und dann ist es endlich geschafft. Traumgipfel Realspitze mit Blick vom Karwendel bis in die Pfunderer Berge. Eine Stehparty wäre auf dem Gipfel der Realspitze nur bei kleiner Personenanzahl möglich. So ein echter Sitzgipfel sieht anders aus.
Es ist mittlerweile vier Uhr am Nachmittag. Mir wird klar, dass ich es heute sicher nicht mehr zum Hohen Riffler geschweige denn zum Friesenberghaus schaffe.
Ich mache vom Gipfel der Realspitze einen kleinen See unterhalb der Grierkarspitze aus und ernenne diesen zum meinem zukünftigen Biwakplatz. Der mühsame Abstieg über den erneut wackeligen Blockgrat führt mich bis kurz unter den Aufschwung zur Napfspitze. Dort wendet man sich nach Süden, steigt über eine kleine Felsstufe ab (3m, II) und bewegt sich dann südlich der Napfspitze bis zu dem kleinen See unterhalb der Grierkarspitze weiter. Es ist jetzt schon 18:30 Uhr. Zeit für heißen Tee und Nudeln.
Vor mir liegt eine traumhafte Biwaknacht. Als ich das erste Mal einnicke, dämmert es schon. Als ich wieder aufwache, beleuchtet die Sommermilchstraße mit dem Sommerdreieck aus Atair, Deneb und Wega die nächtliche Szenerie. Sternschnuppen und ein Iridium-Flare verleihen dem Ganzen die erforderliche Dynamik für so einen Allsky-Abend.
Einzig das unruhige Flackern der Flugzeuge und ihr alles durchdringender Lärm erinnern mich jetzt noch daran, dass ich nicht alleine in diesem Sonnensystem bin.
Jedes Mal, wenn eines der müden Glieder kribbelt, drehe ich mich samt Schlafsack herum und entdecke dabei neue Wunder des Himmels. Der Andromedanebel (M31) ist sehr hell und deutlich zu sehen. Zum ersten Mal glaube ich der Angabe über sein scheinbare Ausdehnung am Nachthimmel: Drei Vollmondurchmesser mit bloßem Auge.
Irgendwann in der Nacht blenden mich noch die Hyaden und die Plejaden, bevor ich um 05:50 Uhr zur Abwendung eines Malheurs aus dem Schlafsack springe und beschließe gleich auf zu bleiben.
Das war sie also, die Nacht unter dem Federbett(kees).
Der Zustieg zum Federbettkees ist etwas knifflig. Der direkte Gang durch die Schneerinne ist ungeeignet, da möglicherweise vom Schmelzwasser längst ausgehöhlt. Links von der Rinne könnte es leichter gehen, aber das bedeutet Höhenverlust. Was bleibt übrig? Genau, rechts von der Schneerinne den Felssporn über den Gletscherschliff gewinnen. Wenn man einfach drauf los stürmt, dann kann es schon stellenweise bis II gehen.
Dann erfolgt endlich der Zustieg auf das Federbettkees (WS-), anfangs steiler (~30°) legt es sich ab 3.000m etwas zurück, dafür nehmen die Spalten zu. Diese liegen jedefalls sämtlich frei und sind mittels mittelgroßem Schritt gut zu überwinden.
Letztlich muss ich feststellen, dass es die Firnbrücke zum Schwarzbrunnerkees nicht mehr gibt, aber da stehe ich auch schon längst auf dem Hohen Riffler.
Die Welt hat mich wieder mit all ihren lauten Menschen, Halbschuhbergsteigern und kurzen Hosen auf 3.200m. Ich bin dankbar für die Erlebnisse und die Zeit mit mir allein. Auf schnellstem Weg geht es hinab zum Schlegeisspeicher, nicht ohne nochmals feststellen zu müssen, dass mir Blockkletterei so gar nicht im Blut liegt.