Sebenspitze mit Zugabe
Nicht nachmachen!
Tja, und was ist dann an einem Mittwoch so viel besser? Ich weiß es nicht, als ich zwischen Marktoberdorf und Pfronten langsam das Müllauto verfolge…
So starte ich erst gegen sieben Uhr vom ungeahnt verlassenen Parkplatz. Der Boden ist noch feucht und nass vom Regen der letzten Nacht. Ich tue so, als würde ich fotografieren, damit eine Wanderin endlich vorbeiziehen und ich endlich ins Gebüsch verschwinden kann. Und was macht die? Die verschwindet selbst im Gebüsch und geht auf mein Outdoor-Lokus…
Nachdem ich’s hochgezogen und runtergeschluckt habe, setzte ich den Weg durch die kühle Morgenluft fort. Man kommt gut vorwärts bei den frischen Temperaturen. Der Körper verlangt nach Bewegung. Nach ca. einer Stunde ist auch schon der untere Rand der Sebenalpe erreicht. Die Kuhglocken bimmeln und alles ist recht friedlich, bis die Tochter nach der Mama ruft. Ich dachte erst an ein Zicklein, aber nein, es ist ein Menschlein…
Der Weg zieht einen förmlich in Richtung Füssener Jöchle. Dann aber muss man ihn über eine steile Wiese nach links verlassen. Bei dem nassen Gras und dem weichen Boden ist das gar nicht so einfach und treibt erstmals größere Schweißtropfen auf die Stirn. Wenn der Stacheldrahtzaun erreicht ist, dann ist man oben und folgt einfach den unscharfen Spuren in Richtung Sebenspitze. Der Stacheldrahtzaun wird bald überklettert (I). Nach wenigen Schritten erreicht man ein kleines Plateau unter Felsen. Hier kann man noch einmal einen Schluck aus der Pulle nehmen, die Stöcke verstauen und den Helm aufsetzen, denn jetzt wird es ernst.
Man quert in eine zunächst weite, grasige und steinige Rinne schräg hoch. Die Spuren von Mensch und Gams sind kaum zu unterscheiden. Der letzte Regen hat dazu noch einiges verwischt. Nach bangem Tasten erreicht man dann jedoch den schmalen Teil der Rinne, der direkt nach oben leitet. Von rechts kommt noch eine Spur direkt an den Felsen dazu. Von dort wäre man gekommen, wenn man am letzten Rastplatz zunächst noch über zwei Felsen aufwärts geklettert wäre.
Die Rinne wird schmaler und endet bald. Man könnte noch weiter nach oben, aber ich lasse mich von Spuren zu einem Felsen weiter rechts locken. Hier finden sich ältere Begehungsspuren und man kann endlich über fest(er)en Fels in eine kleine Scharte klettern. Jetzt bin ich allerdings perplex. So einfach geht es nicht weiter. Man könnte sehr ausgesetzt nach rechts in eine sehr steile Dreckrinne queren und dort höher gelangen. Bei der Abschätzung der möglichen Fallhöhe wird mir jedoch angst und bange. Der Gratzacken über mir sieht viel zu schwierig aus. Das kann es nicht sein! Als ein Teil von mir bereits umkehren will, macht der Rest einen Schritt auf den Felszacken zu. Mit zwei beherzten Griffen ist man dann schnell höher (I-II) und auf der anderen Seite sieht die Welt schon wieder viel rosiger aus. In anregender und leichter Kletterei geht es dann für mich schnell zum aussichtsreichen Gipfel der Sebenspitze. Ich erreiche ihn nach nur 2½ Stunden ab dem Start am Parkplatz. Das ist vermutlich keine besondere Leistung und soll hier nur als Anhalt für eventuelle Nachahmer dienen. Wobei, nein, nicht nachmachen!
Ich möchte heute noch zum nahen Brentenjoch. Wie nicht anders zu erwarten, folgt nun also der Abstieg von der Sebenspitze. Auf deren Nordseite winden sich zugewachsene Wegspuren nach unten zum Vilser Jöchl hin. Ein paar wenige Steinmänner sind hier sehr hilfreich, beim Abstieg. Ich drehe mich noch einmal um. Von unten kann man die Steinmänner im hohen Gras kaum ausmachen. Bei so mancher Spur im Gras komme ich dann endlich irgendwann darauf, dass die gar nicht menschlichen Ursprungs sein kann. Da stehe ich auch schon in einem weichen Gamsschiss…
Unter Gras verborgene Rinnsale und matschiger Boden machen den Rest des Weges zum Vilser Jöchl dann noch zu einer Rutschpartie. Als ich das endlich hinter mir habe, bin ich heilfroh, nicht über die grüne Seite der Sebenspitze aufsteigen zu müssen. Da nähern sich zwei laute Stimmen von links…
„Hallo sie, kommen sie etwa vom Brentenjoch? Wo geht es denn zum Brentenjoch?“
„Ich kommen von der Sebenspitze…“
„Ach, da wollen wir auch noch rauf!“
„…und ich will auch zum Brentenjoch. Da drüben steht das Schild.“
„Und wie kommt man vom Brentenjoch zum Füssener Jöchl? Wir wollen ja über die Sebenspitze.“
„Sebenspitze oder Sefenespitze?“
„Wie schwer ist das denn?“
„T5, I-II. Habt ihr Helme dabei?“
„Nein. Aber wissen sie, ich bin jetzt 70 Jahre alt und steige auf Berge seit ich 26 bin…“
Und deshalb brauchst du keinen Helm? Außerdem heißt es: Seit ich 26 war! In deinem Fall vlt. sogar gewesen war.
Ich schlage vor: „Wir gehen jetzt erstmal aufs Brentenjoch und dann schauen wir weiter!“ Die beiden Alten stimmen zu. „Guck mal Edmund, nur noch 45 Minuten bis zum Brentenjoch…“
Ich benötige nur dreißig Minuten bis zum Brentenjoch und habe den Gipfel dann für eine ganze halbe Stunde für mich allein. Mittlerweile habe ich die Softshell übergezogen, weil es kälter und windiger geworden ist. Als die beiden auch endlich eintreffen, muss sie mein durch den Anorak verändertes Aussehen irritiert haben.
„Waren sie das, mit dem wir vorhin am Vilser Joch gesprochen haben?“
„Ja, ich seh jetzt nur anders aus und ihr habt’s a ganze Stunde gebraucht.“
„Guck mal Edmund, da hinten ist die Otto-Mayr-Hütte“, sagt der andere und deutet auf eine Seilbahnstation.
„Und wie kommt man jetzt einfacher zum Füssener Jöchle?“ Ich erkläre es gerne, zeige es sowohl im Gelände als auch in deren seniorengerechter Landkarte – Was ist das für‘n Maßstab? 1:500? – und kann die beiden endlich überzeugen über markierte Bergwege weiterzumarschieren. Jetzt kann ich beruhigter absteigen, ohne mir um die beiden Faltenbälge Sorgen machen zu müssen.
In seiner kindlichen Euphorie tippt mir der eine sogar noch seinem runzeligen Finger in den Rücken, als ich mich über meinen Rucksack beuge. Ich unterdrücke den Selbstverteidigungsreflex. Heute kann mich nichts mehr aus der Fassung bringen…
Hinweis: Die Sebenspitze ist Tabu für ungeübte und mangelhaft ausgerüstete Bergsteiger. Es gibt keine Wege oder Markierungen. In der südwestseitigen Rinne sollte ein Helm getragen werden (, auch wenn in diversen Foren Bilder von Coolen auftauchen, die hier nur die Allgäuer Steinschlag-Basecap tragen).
Am besten einfach nicht nachmachen!
n.b.
Die Serie "Nicht nachmachen" enstand im Sommer 2022, als eine 100 Schüler starke Gruppe vom Berg gerettet werden musste, weil das Lehrpersonal einen hikr-Tourenbericht nicht korrekt interpretieren konnte. Irgend so ein selbsternannter wichtiger Hikr hat sich dann auch noch an meiner Satire "Nicht nachmachen" gestört und deshalb schreibe ich jetzt mein eigenes Tagebuch, in dem außer mir niemand etwas kommentieren kann...