Ein echter Hammer und nichts für Schüsser
Überschreitung Hochgehrenspitze - Schüsser
Juli 1985. Sommerferien. Ich stehe allein auf dem Gipfel der (Walser) Hammerspitze. Die bringt immerhin 25 Punkte für die Goldene Kleinwalsertaler Wandernadel ein. In östlicher Richtung führt eine schmale Pfadspur zu einem hohen Gipfel mit Kreuz. Heute habe ich versprochen hier umzukehren und keine Extratouren zu unternehmen.
Wenn ich einmal groß bin, gehe ich da mal hin…
Juli 1990. Grüntenkaserne. Kiwi, einer meiner OA-Kameraden, erzählt von einer Klettertour mit Freundin über Hochgehren und Schüsser. Ein Seil haben sie auch gebraucht. Jetzt hat der hohe Gipfel mit Kreuz einen Namen.
Wenn ich einmal Zeit habe, gehe ich da mal hin…
2014. Irgendwo. Die Überschreitung von Hochgehren und Schüsser ist immer noch offen. Jetzt aber schreibe ich sie auf die Wunschliste. Das ist schon mal ein Schritt auf dem Weg zum hohen Gipfel mit Kreuz.
Wenn ich einmal in der Oberstdorfer Gegend bin, gehe ich da mal hin…
Heute
Als ich nach zweieinhalb Stunden Autofahrt bereits im Kleinwalsertal eintreffe, frage ich mich, warum ich in den letzten Jahren nicht schon öfter hier war. Ich fahre durch Riezlern, Hirschegg und Mittelberg. Ich kann mich an kaum etwas erinnern. Nun gut, es sind schließlich auch fast vier Jahrzehnte vergangen. Da verändert sich schon einiges. Ah, das Walserhaus gibt es noch! Da habe ich damals die Goldene Kleinwalsertaler Wandernadel bekommen…
Am Ghf. Schwendle fahre ich vorbei. Ein tiefer gelegter Benz gibt schon auf. Zum letzten Parkplatz geht es nur auf einer unbefestigten Straße weiter. Bei größeren Summen kann man die Parkgebühr im Bergheim Moser entrichten. Ich platze gerade mitten ins Fühstück. Der Chef von Bergheim samt Parkplatz, mit seinem allerjüngsten Familienmitglied auf dem Arm, bleibt dennoch gelassen.
Kuhgehrenalpe und Kuhgehrenspitze erschienen mir damals wie ganz weit entfernte, kaum erreichbare Ziele. Tagelang habe ich auf die Kuhgehrenspitze gestarrt, um eine Route durch die steilen Bergwiesen zu fantasieren. Heute kommt mir alles viel kleiner vor. Die Kuhgehrenalpe ist nach einer Stunde erreicht. Mittelberg schaut von hier aus wie ein Spielzeugdorf auf der Modelleisenbahn aus. Der Kuhgehrenspitze nähert man sich ganz leicht von Osten. Ich lasse sie im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und drehe gleich zur Walser Hammerspitze ab. Auf halben Weg vor mir befindet sich eine sehr große Wandergruppe. Hoffentlich muss ich nicht im steilen Hang an denen vorbei.
Genau am Ausstieg hole ich sie ein. Die Wandertruppenführerin stellt die Touris an den Rand, damit ich vorbei kann. Noch wenige Minuten und wenige Meter, dann stehe ich nach 37 Jahren wieder auf der Hammerspitze, die jetzt Walser Hammerspitze heißt, um sie von der Oberstdorfer Hammerspitze zu unterscheiden. Die Oberstdorfer Hammerspitze hieß früher nämlich in Oberstdorf nur Hammerspitze, im Kleinwalsertal dagegen Schüsser. Wenn dann Bergrettung und Bergwacht zur Hammerspitze ausrücken müssten, haben die sich nicht getroffen. Alles verstanden? Wir schreiben nachher einen Test…
Ein stramm marschierender, in sich federnder Poser mit Barbie-Freundin kommt dazu. Er spricht einen aus der mittlerweile ebenfalls auf der Walser Hammerspitze eingetroffenen Wandertourigruppe an, weil er dem sofort angesehen habe, dass er auch Soldat sei. Man würde es an allem, Haltung, Gang usw. sofort bemerken. Sie tauschen Dienstgrade und Soldatengeschichten aus. Der eine ist sogar nach PSG früher ausgeschieden.
Zunächst bin ich ein wenig beleidigt. Den Tränen nahe fühle ich mich wie Horst Krömers „Eine Insel namens Udo“. Keiner sieht mich. Vielleicht bin ich aber heute einfach nur besonders stealthy. Hoffentlich hat die Truppe von heute ein besseres Gespür für ihre Gegner, wenn schon nicht für ihre Kameraden…
Als ich dann über die schmale Pfadspur in Richtung Hochgehrenspitze aufbrechen will, sieht man mich plötzlich doch. War ja klar. Die Wandertruppenführerin fragt mir Löcher in den Bauch und macht ein Mordstamtam. Sie hält mich scheinbar für ungeeignet. Ist das meine Ausstrahlung oder mein jugendliches Aussehen? Warum meinen eigentlich alle verschrumpelten Klugscheißer*innen, dass sie mich belehren müssen?
Ob ich denn jemandem gesagt hätte, wohin ich gehe. Ich lüge glatt, um endlich meine Ruhe zu haben…
Allein mit mir und dem Berg ist es endlich schöner. Die Hochgehrenspitze rückt immer näher. Zunächst ist es ganz einfach, dann kommt ein kleiner Felsriegel in den Weg und dann geht es wieder einfacher weiter. Zuletzt gelangt man entweder über bröselige Schrofen oder einen Tacken schwieriger direkt über den festen Fels des Grats zum Gipfel. Ich wähle den festen Fels…
Den Übergang zum Schüsser, pardon, zur Oberstdorfer Hammerspitze kann man von der Hochgehrenspitze im schrillen Gegenlicht nur schlecht erkennen. Die Beschreibung habe ich aber im Kopf und was im Kopf ist, muss in die Beine. Also trete ich an. „Marsch, Marsch, Ende!“
Die Spur ist durchweg gut zu erkennen. Eine erste Engstelle (II) muss abwärts überwunden werden. Das ist noch unproblematisch. Kurz danach gelangt man an eine Rinne, die es abzusteigen gilt (II). Unangenehm geneigt sind die Tritte. Einige der Griffe sind lose. Man kann sie aus dem Fels ziehen und wieder zurückstecken. Ich nehme es mal vorweg, das war meine Schlüsselstelle. Die Angst wird ab jetzt wieder weniger…
Ein Drahtseil. Es geht dort hinab. Ohne Drahtseil wäre die Stelle sicher auch absteigbar, aber bestimmt nicht angenehm. Abschüssiger Fels mit feinem Split bedeckt. Zuletzt leitet das Drahtseil in eine weitere Rinne hinab und dahinter kommt nach ganz viel Luft nach unten. Am Ende des Seils marschiert man einfach auf breiter Spur weiter in einen engen Sattel.
Geröll und Steine rutschen irgendwo ab. Ich kann aber weder Menschen noch Tiere als Verursacher ausmachen. Seltsam. Rutschen die Steine einfach so ab? Kann eigentlich nicht sein…
Als ich mich für ein weiteres Foto nochmals umdrehe sehe ich ihn. Ein gewaltiger Steinbock sonnt sich in einem unmöglich steilen Schuttfeld, direkt unterhalb des Grates, auf dem das zuvor erwähnte Drahtseil entlang führt. Na, der kann jedenfalls klettern…
Leicht und schnell geht es weiter zum Gipfel des Schüsser, der jetzt … na, wer weiß es? … ja, so lest ihr meine Berichte. Also leicht (I+Gehen) auf die Oberstdorfer Hammerspitze.
Drüben, auf der Hochgehrenspitze, macht sich ein weiterer Einzelgänger auf zur Überschreitung. Da hab ich ja noch Zeit und kann den Schüsser samt Aussicht genießen.
Direkt am Gipfelkreuz der Oberstdorfer Hammerspitze bricht eine kleine Wand nach Osten ab. Drei Eisenbügel helfen beim Abstieg über diese späte Schlüsselstelle (III-). Unten angekommen, versuche ich sofort ohne Hilfe der Bügel wieder hinaufzuklettern. Das ist dann schon III+. Griffe und Tritte liegen etwas ungünstig. Beim zweiten Abklettern verwende ich dann wieder die Bügel. Umdrehen und über ein Mäuerchen wieder aufwärts. Auf abschüssigen Platten um einen Kopf herum und dann „ist der Drops auch schon gelutscht“. Noch ne Trinkpause und dann ab zur schon sichtbaren Fiderepasshütte.
So ganz leicht ist es dann doch nicht. Steinmännchen oder andere Orientierungshilfen findet man kaum. Dafür gibt es eine ganze Menge Pfadspuren. Alle Ausstiege von zahlreichen Kletterrouten. Durch Versuch und Irrtum bin ich dann aber bald wieder in der Spur. Um ein Eck herum und dann ist es wieder nur noch ganz normales Wandern.
Ich sitze auf der Hüttenterrasse und mir die Speisekarte rauf und runter schmecken. Ich schaue hinauf zum Schüsser und bin erstaunt darüber, wie schnell und reibungslos die Tour geklappt hat. Schön.
Und morgen geht es über den Mindelheimer Klettersteig…
Epilog
Als es in der voll belegten Hütte endlich ruhiger wird, ist es auch schon wieder an der Zeit aufzustehen. Ich schnappe mein Zeugs, um es bei Licht auf dem Gang im Rucksack zu verstauen. Dabei vernehme ich ein Prasseln. Ich verdächtige das Hüttenpersonal. Typisch, die Gäste müssen stinken und das Personal duscht warm.
Als ich zur Hüttentür hinausschaue nehme ich meinen Verdacht jedoch wieder zurück. Es regnet in Strömen. Das war so nicht abgemacht bzw. vorhergesagt. Bis zum Mittag wird es nicht besser werden.
Der Mindelheimer Klettersteig fällt heute für mich aus! Dieser Klettersteig und ich haben auch eine Geschichte. 1988 bin ich drüber. Seitdem ist eine zweite Begehung immer wieder an Schlechtwetter gescheitert.
Ich erinnere mich besonders an einen Versuch aus dem Jahre 1993. Blauer Himmel. Was wir für einen Überschallknall halten, ist in Wirklichkeit das schnell herannahende Gewitter auf der anderen Seite des Grats. Notabstieg. Blitze zucken und knallen noch vor der Eins…
Aber das ist eine ganz andere Geschichte.