Bergtour/Wintertour Reinkarsee
Als ich vom Winter überrascht wurde
Am Montag vor zwei Tagen gab es schon eine erste Gelegenheit für die Tour auf das Kröndlhorn. Ich war ganz stolz auf mich, dass ich mich dann aber zurückhalten konnte. Die Hohen Tauern wären den ganzen Tag von Wolken verdeckt gewesen. Die Lkw hätten bestimmt auch wieder die Autobahn verstopft. Am späten Nachmittag hätte bereits Niederschlag fallen können. Wie gesagt, ich war ganz stolz auf meinen Verzicht und bin zum stattdessen in die Boulderhalle verschwunden.
Heute ist ein Feiertag. Die paar Lkw mit Ausnahmegenehmigung fallen nicht ins Gewicht. Meine Sorge gilt eher den Ausflüglern. Diese Sorge ist jedoch um 05:00 Uhr morgens eher unbegründet. Niemand begegnet mir, als ich in das Windautal abbiege und so weit wie nur möglich bis zum Talschluss vorfahre, hinterfahre, fahre. Der Parkplatz Krumbach ist noch leer und ich freue mich schon zu früh. In einem eher unpässlichen Moment brummt schon das nächste Auto heran. Das wäre fast in bzw. auf die Hose gegangen!
Der andere ist ein Einheimischer und schneller auf dem Weg als man schauen kann. Ich lege gemütlich die Bergstiefel an und lade mir den Rucksack mit Winterausrüstung (Hardshellhose, Gamaschen, Snowchains, zweitem Pulli, Biwaksack, warmer Tee usw.) auf. Der Rucksack ist besonders schwer, weil heute auch die Mittelformatkamera dabei ist, um die letzten Aufnahmen für das Mittelformatteilprojekt von Projekt 12 zu gewinnen. Das sind als zusätzlich 2,5 kg, aber was soll's, es wird ja nur eine einfache, lange Bergwanderung...
Schon an der Rotwand Grundalm (ca. 1.600m) treffe ich auf den ersten Schnee. Ich bin fast glücklich über meinen Vorgänger, der eine Spur durch den frischen Schnee gelegt hat. Laut Wetterbericht sind in der vergangenen Nacht lediglich 5 cm Neuschnee gefallen. In dieser Rechnung hatte ich allerdings den bereits vorhandenen Altschnee völlig übersehen.
Weitere 200 m oberhalb der Rotwandalm fürht der Weg auf eine Almstraße. Ich sehe meinen Vorgänger nun und hole ihn fast ein. Dann allerdings zieht er weiter geradeaus und ich muss rechts abbiegen. Wir haben wohl doch nicht das gleiche Ziel.
Das Hinweisschild veranschlagt nur noch zwei Stunden bis zum Gipfel des Kröndlhorns. Es sind nur noch 700 Hm bis dorthin. Das sollte vielleicht schneller gehen? Selbstüberschätzung und Wahnsinn liegen oft so nahe beieinander.
Unter der fluffigen Schneedecke ist kein Weg auszumachen. Ältere Spuren verschwinden bald unter der 5cm-Neuschneedecke. Das Navi zeigt bereits an, dass ich viel zu weit nach links vom Weg abgekommen bin. Die Korrektur kostet mich eine Dreiviertelstunde un d ich gewinne dabei lediglich 100 Hm.
Als ich den Weg wieder erreicht habe, erkenne ich eine einzelne, freigeblasene Markierung auf einem Stein. Ich orientiere mich nochmals und erkenne, dass ich gar nicht auf den vor mir liegenden Gipfel aufsteigen muss. Vielmehr folgt eine heikle Hangquerung auf der rechten Seite im windigen Schatten. Ich stochere und stolpere durch den Neuschnee. Die Schuhe gleiten oft auf schrägen Steinen seitlich ab oder ich versacke plötzlic und unerwartet in knietiefen Triebschneeanhäufungen. Der Wind weht mir in Böen Schneekristalle ins Gesicht und jede nicht verschlossene Öffnung der Kleidung. Einige Stellen der Hangquerung sind so steil, dass ein Sturz ungeahnte Folgen hätte. Bis zum Reinkarsee sind es noch knapp zwei Kilometer. Die Gemsen am Grat links oberhalb von mir lachen mich aus.
Zunächst verspüre ich Erleichterung, als ich die Hangquerung hinter mich gebracht habe und ein welliges Plateau mit einigen zugefrorenen Lacken betrete. Die Erleichterung wird jedoch schnell vom stürmischen Wind davongeweht. Das Straucheln im zweifelhaften Schnee nimmt kein Ende. Dreieinhalb Stunden nach dem Aufbruch erreiche ich erst/endlich die kleine Schutzhütte. Ich setze mich in die kleine Notunterkunft (2 Schlafplätze, ein Holzofen aber kaum Holz, eine fast volle Flasche Rotwein!), um mich bei Britzeit und lauwarmen Tee aufzuwärmen.
Man soll die Wände nicht beschmieren, steht in deutscher Sprache auf den beiden Tellern im einzigen Regal. Das haben die Tschechen, Holländern und Briten offensichtlich nicht versthen können...
Vor der Hütte weht der Sturm Schleier aus Schnee und Eis auf. Ich komme zu dem Schluss, die Tour abzubrechen. In dem bisherigen Tempo könnte ich den Gipfel niemals rechtzeitg erreichen und noch vor der Dunkelheit zurück im Tal sein. Außerdem steht am Abend bereits die nächste Schlechwetterfront an.
Etwas oberhalb des kleinen Schutzbaus könnte ich auf den Weg zur Oberkaralm abbiegen und auf einer breiteren Forststraße zurück zum Talschluss gelangen. Mit einem kleinen Abstecher könnte ich immerhin noch den Reinkarsee auf knapp 2.200 m erreichen. Dann hätte der höchste Punkt dieser gescheiterten, "einfachen" Wanderung wenigstens auch einen Namen... Ich ziehe die Gamschen über, verschliße die Hütte und marschiere los.
Am Wegkreuz biege ich zum Reinkarsee ab. Das soll immerhin noch 15 Minuten dauern. Wieder stolpere und stochere ich durch den Schnee, rutsche auf Steinen seitlich ab und/oder versinke im Schnee. Gerade als ich denke, dass die Verwehungen glücklicherweise nur knietief sind, breche ich bis zur Hüfte in einem Schneeloch ein. Der Wind weht unangenehm und kontinuierlich mit stürmischer Geschwindigkeit durch einen kleinen Sattel, hinter dem der Reinkarsee liegen muss.
Die Oberfläche des Sees ist vom Wind aufgewühlt. Da ist kein glatter Spiegel, in dem die umliegenden Gipfel reflektiert werden. Einige Meter oberhalb des Sees finde ich einen exponierten Buckel, von dem aus ich eine gute Aussicht auf die hohen Tauern und all die anderen hohen Berge habe. Im Sturm fotografiere ich eher schlecht als recht. Immer wenn ich gerade den Auslöser betätige, ohrfeigt mich eine Windböe. Ich drehe die ISO-Empfindlichkeit auf, um kürzere Belichtungszeiten zu erzielen. Nur gut, dass das Telezoom über OIS verfügt. Anders wären die Gipfelportraits bei 200 mm Brennweite auch gar nicht möglich. Zwei Bilder aus diesen heiklen Minuten schaffen es unter die besten 12. Eines (10/12) ist eine Übersichtsaufnahme (f = 70mm, fKBÄ = 56mm), bei dem eher zufällig eine S-Kurve den Blick des Betrachters auf die Hohen Tauern lenkt. Das Bild zeigt gleichzeitg einen großen Teil meines beschwerlichen Weges bis hierher.
Das weitere Bild (11/12) ist ein Portrait des Großglockners. Die vielen Details können nur mit einer Mittelformatkamera und 50 MP wiedergegeben werden. Immerhin ist das Mittelformatteilprojekt jetzt fast fertig.
Ich mache mich auf den Rückweg. Den Wind habe ich jetzt im Rücken. Das klingt leichter und besser, als es tatsächlich ist. Zumindest sind einige Weg-markierungen vom Wind freigeblasen worden. Zwischen den Markierungen stochere und stolpere ich wieder durch den Schnee.
Als ich in einem breiten Tal nach Osten absteigen kann, wähne ich nich schon in Sicherheit. Das breite Tal entpuppt sich jedoch als Windkanal. Immer wieder drückt mir der stürmische Wind die Kapuze von hinten über den Kopf und die Augen. Als wäre das nicht alles schon genug, fängt der Boden unter der Schneedecke auch noch an zu tauen. Zum seitlichen Abrutschen von verborgenen Steinen und Einbrechen in Triebschneelöcher kommt nun auch noch das Steckenbleiben im Schlamm dazu.
In ca. 1.800 m Höhe treffe ich endlich auf die verschneite Almstraße. Ab nun wird schon einmal die Orientierung einfacher. Ab 1.600 m Höhe verschwindet dann auch endlich der Schnee. Die Schuhe sind klitschnass. Auf der steilen Almstraße spüre ich schnell erste Scheuerstellen an den Zehen. Im Vergleich zum Weg durch den Sturm ist das jedoch nur noch ein Jammern auf ganz hohem Niveau.
Mir wird wieder warm, während ich im Auto aus dem Windautal rolle und erst Regenspritzer auf die Windschutzscheibe tropfen. Dieses verdammte Kröndlhorn hat es mir wieder einmal gezeigt. Beim nächsten Versuch versuche es ich bestimmt wieder. Dann aber ohne Schnee!