Bergtour Ostgrat Brecherspitze
Nur der Abstieg wäre lebensgefählich
Würde ich um Viertel nach fünf in die S-Bahn steigen, dann würde ich erst nach zweieinhalb Stunden auf dem Spitzingsattel ankommen. Fährt man dagegen zwei Stunden später los, verkürzt sich die Fahrzeit auf knapp unter zwei Stunden. Verrückt! Klar, dass ich mich fürs Ausschlafen entscheide.
Umsteigen in Schliersee. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie alle Passagiere des vollbesetzten Zuges in den Linienbus passen, aber es scheint tatsächlich möglich. An der einen oder anderen Haltestelle können sogar Leute zusteigen, nicht vorne, das ist verboten, sondern hinten, dann aber ohne zu bezahlen, weil das ginge ja wieder nur vorne beim Fahrer, wo es jedoch verboten ist einzusteigen, wegen der gelben Linie...
Am Spitzingsattel kann ich endlich wieder atmen.
Der kleine Pfad zum Ostgrat beginnt unscheinbar zwischem einem Wegweiser und einer Infotafel. Die meisten Menschen halten diese Spur tatsächlich nur für eine kostenlose Gelegenheit zum Austreten, was zahlreiche weißbraune Tempotücher rechts und links der Spur belegen. Wo viele Menschen sind ist eben alles scheiße.
Nach ca. 100 m wird aus der Pfadspur ein schöner, alter Jägersteig und der beißende Geruch lässt auch nach. Ohne großes Aufhebens mäandert der Steig über zwei Geländestufen hinweg auf den Ansatz des Ostgrates zu. Als sich nach einer viertel Stunde die Bäume lichten, erkennt man links oben am Grat einige Felsriffe. In einem kurzen Zickzack geht es nun direkt auf diese Felsmauern zu. Ganz plötzlich mündet die schotterige Spur in einer kleinen Drei-Meter-Wand. Das ist auch schon die Schlüsselstelle der Tour. Kein Problem, über gut gestuften Fels geht es schnell und einfach (I) darüber hinweg.
Im weiteren Verlauf bietet der nun schmale Ostgrat noch einige, unschwierige Kraxelstellen und beeindruckende Tiefblicke nach Norden. Und dann weichen die knorrigen Bäume abrupt den Latschen. Eine relativ breite Gasse führt mich direkt auf den Gipfel der Brecherspitze zu. Wenige Meter unterhalb des Gipfels warnt ein Schild "KEIN ABSTIEG, LEBENSGEFAHR". Wenn man bedenkt, welches Klientel hauptsächlich auf die Brecherspitze steigt und dass hier in diesem Jahr sogar schon ein tödlicher Unfall zu beklagen war, dann kann man diese Warnung verstehen. Der Ostgrat der Brecherspitze ist für Ungeübte oder reine Bergwanderer nicht geeignet.
Nach 1:15h endet für mich dann auch schon das Ostgrat-Abenteuer auf dem Gipfel der Brecherspitze. Hier ist schon einges los, um 11:00 Uhr und immer mehr Menschen strömen entweder über den West- oder den Nordgrat auf den Gipfel zu. Ich mache schnell ein paar Bilder und wundere mich über die vielen Fliegen. Sollte ich etwa wieder einmal duschen?
Schön an Touren mit der Bahn ist, dass Streckenwanderungen möglich werden, also Start- und Zielpunkt nicht identisch sind. Ich möchte nun nach Neuhaus. Über den Nordgrat würde das möglicherweise am schnellsten gehen, aber das sind furchtbar viele Menschen unterwegs. Ich entscheide mich daher für den kurzen Übergang über den Westgrat zur zum Vorgipfel und werde dann über die schmale Schneide nach St. Leonhard abbiegen.
Der Westgrat zur Brecherspitze ist an einigen Stellen mit einem Drahtseil versichert. Ich benötige das zwar nicht, aber für einige Tagestouristen scheint es überlebensnotwendig zu sein. Zumindest ist das Gelände noch weitläufig genung, um schnell an diesen Mittelspurfahrern vorbei zu kommen. Zwei Ukrainische Kinder tragen Sandalen an den Füßen. Nun ja, vor 35 Jahren waren es die Ossis...
Jenseits von St. Leonhard wird die Tour noch einmal zu einem "schwarzen" Weg. Der Steig ist etwas rumpelig und leider nass. Mit etwas Obacht lässt sich aber auch diese Stelle unfallfrei überwinden. Von da an geht es dann nur noch bergab.
Nach dreidreiviertel Stunden endet meine Tour bereits am Bahnhof Neuhaus-Fischbach. Damit werde ich heute länger mit der Bahn unterwegs gewesen sein als auf Bergtour. Immerhin habe ich die Arbeit für ein paar Stunden hinter mir lassen können, bis ich am Hauptbahnhof München wieder an Versionsnummern denken muss...