Endlich vorne!
Auf die Vordere Goinger Halt
Mittlerweile sind zwei Stunden vergangen, seit ich die Wochenbrunner Alm verlassen habe. Nach den ganzen gesundheitlichen Problemen der letzten Wochen bin ich konditionell hochzufrieden. Ich stehe bereits auf dem kleinen grünen Flecken, an dem sich die Wege auf Hintere Goinger Halt und Vordere Goinger Halt trennen. Nach links sind es von hier aus lediglich fünf Minuten auf die HGH. Nach rechts wird die Pfadspur immer dünner und verliert sich im schrofigen Gelände. Ich nehme noch einen beherzten Schluck Pfefferminztee aus der Pulle, setze den Helm auf und ziehe los.
Nach wenigen Metern gelangt man an den Auslauf einer brösiligen Rinne, die nach links aufwärts zieht. Dieser folgt man – einfacher und angenehmer als gedacht – und erreicht den Grat. Jetzt biegt man scharf rechts ab. Über eine kleine Wand mit Bügel steigt man drei Meter ab. Auf dem Rückweg werde ich noch zeigen, dass man sowohl im Auf- als auch im Abstieg völlig auf die Verwendung des Bügels verzichten kann. Es geht auch direkt durch einen Riss, dann II+.
Am anderen Ende des vor mir liegenden Kessels erkennt man eine markante Einschartung. Da muss ich hin. Im Gehgelände geht es weiter, bis eine kleine, ca. 1,5m hohe Kalkmauer in der Mitte des Kessels erreicht ist. Über diese klettert man leicht hinweg. Es geht noch ein paar Meter auf immer der gleichen Höhe durch den Kessel, bis man nach links über Schrofen aufsteigt und in die eingangs erwähnte Scharte gelangt. Jetzt geht es richtig los…
Ein Bohrhaken kündigt die Schlüsselstelle an. Auf einem zerrissenen Band quert man nach rechts. Die Stelle ist mit II bewertet und in der Mitte der Querung bietet ein Drahtbügel den Händen und der Seele halt. Es ist reine Kopfsache, denn hinter einem geht es steil in die Tiefe. Auf dem Band kann man aber sicher stehen. Die Schuhe stehen meist auf der kompletten Sohle auf (Gr. EU43). Lediglich für die Hände gibt es nur kleine Griffe, die man mehr für das Gleichgewicht benötigt als zum eigentlichen Fortkommen. Nach ca. 10m ist der Spaß auch schon wieder vorbei.
Weiter vorsichtig über Geröll und dann scharf in eine bröselige Rinne absteigen. Auch das klingt schlimmer als es tatsächlich ist. In der Rinne gibt es genügend Halt für Hände und Füße (I). Am unteren Ausgang der Rinne wäre ich fast zu weit gegangen. Denn hier trifft die nach unten führende Rinne mit einer nach oben führenden Rinne zusammen. Rechts von dieser Rinne überklettert man einen Zacken (I-II), um dann etwas luftig und sehr beherzt über einen Klemmblock weiter aufwärts zu gelangen (II). Noch ist die Sache aber nicht gelaufen. Nach dem Block geht es noch über eine Platte weiter (II) bis man mit einigen Verrenkungen in einen Felsspalt gelangt. Und plötzlich findet man sich in Gehgelände wieder.
Tatsächlich verliere ich hier etwas die Orientierung. Ich sehe kein Steinmandl und auch die Trittspuren sind eher undeutlich. Mit der Hilfe von GPS und etwas Spürsinn rutsche ich durch lose Schrofen um einen Sporn herum und erneut in einer Rinne nach oben. Dort treffe ich auf einen weiteren Steinmann, der die andere Möglichkeit hierher zu gelangen markiert. Ich merke es mir für den Abstieg vor, denn jetzt gilt meine Aufmerksamkeit dem Gipfel, den man zwar nicht riechen aber schon sehen kann.
Über Schorfen geht es noch einmal aufwärts (I). Eine mit Seil versicherte Stelle lässt sich auch ohne den alten Strick bewältigen (dann II-). Und plötzlich stehe ich oben bzw. endlich vorne, auf der Vorderen Goinger Halt. Seit dem Einstieg sind 45 Minuten verstrichen.
Der Ausblick und das Glücksgefühl fesseln mich so sehr, dass ich fast vergesse eine ordentliche Pause mit Apfel, Brot und Tee zu machen. Eine dreiviertel Stunde sitzen wir so dort oben. Die Vordere Goinger Halt, der Wilde Kaiser und ich. Dann höre ich Stimmen von den nachfolgenden Gipfelaspiranten. Ich mache Platz, um ihnen nicht in den bröseligen Schrofen in die Quere zu kommen. Die Drei sind von der Spezies Bergläufer. Da wird keine Rücksicht auf Rolling Stones genommen…
Am gemerkten Steinmann (s.o.) biege ich scharf um eine Kante herum ab und muss dann durch einen Riss in einer Kalkmauer wenig elegant absteigen. Wieder suche ich den Weg. Erst in dem Felsspalt über der Platte und dem Klemmblock kenne ich mich wieder aus.
An dem 1,5m-Mäuerchen begegne ich einem entgegenkommenden Pärchen. Ich lasse sie durch und gehe dann in meiner Richtung weiter. Plötzlich höre ich ein lautes Krachen. Die beiden schauen mich mit großen Augen an und ich schaue mit noch größeren Augen zurück. Ein Klotz, so groß wie ein Kühlschrank, poltert zwischen uns in die Tiefe. Ausgelöst wurde der von einer Figur, die oberhalb von uns recht unqualifiziert in den Felsen herumkrakselt. Keine Ahnung woher der gekommen ist. Er steigt mir hinterher und ich höre immer wieder Steine abbrechen. Ich gebe Gas und hänge ihn ohne Bügel in der Bügelwand ab. Ich will unbedingt vor ihm aus der noch abschließend folgenden, bröseligen Rinne sein…
Geschafft! Schön, dass mir diese Tour noch im weit fortgeschrittenen Jahr gelungen ist. Aber noch bin ich nicht wieder unten. Wieder einmal folgt die obligatorische Abfahrt über das Geröllfeld in die Tiefe. Die Bergläufer vom Gipfel der VGH haben mich da schon längst wieder eingeholt. Ich schlucke Kaiserstaub. Schmeckt das gut…