Durch das Kistenkar auf die Hohe Kisten
Auf die harte Tour
Aller Anfang ist schwer. Das bemerke ich besonders auf den ersten Kilometern dieser Tour. Weil ich keine Karte dabei habe - so ein Ding aus Papier - und mich nur auf den Garmin mit seinem Mäuskinobildschirm verlassen kann, fehlt mir der Überblick, um sofort die richtigen Abzweigungen zu erkennen. Reinzoomen, Rauszoomen und immer noch nicht klarer sehen. Beim nächsten Mal ist auch wieder eine richtige Karte dabei oder mindestens eine Wegeskizze...
In einem weiten Bogen muss das Bett der Urlaine überquert werden. Geradeaus würde der Pfad zum Archtalwasserfall führen. Da hier jedoch gar keine Urlaine mehr ankommt, es ist trockener als furztrocken, vermute ich, dass die Urlaine nur von Schneefelder gespeist wird, die es hier nicht mehr gibt.
Der weitere Weg führt durch dichten und dunklen Wald. Die Orientierung ist nicht leicht. Die Spurenlage ist oft uneindeutig und Hinweisschilder sowie Markierungen sucht man vergeblich. Das kostet Zeit und verhindert, dass ich meinen Rythmus finde.
Endlich finde ich einen breiteren Weg. An den neuralgischen Punkten sind mindestens Farbklekse vorhanden und einmal sogar der Hinweis auf die 'HK'. Jetzt hört man auch einen Bach unten in der Schlucht. Die Urlaine versickert also irgendwo und kommt deshalb nicht als Wasserfall unten an!
Der Weg ist schmal in steilem Gelände, aber bisher gut zu begehen und kaum zu verfehlen. Das ändert sich jedoch, als eine steile Rinne von rechts das Gelände durchschneidet. Das Überbleibsel einer Wegbefestigung hängt in der Luft über losem Kies. Das muss früher einmal einfacher gewesen sein. Jetzt aber gibt es gleich mehrere Möglichkeiten und keine davon ist wirklich attraktiv. Ich nehme die Variante, die mit einigen Latschen Halt für die Hände hergibt. Für die Füße bleiben nur kleine, abschüssige Mulden im sehr steilen Schutt. Jenseits der Sohlenkante geht es ohne Halt im fast freien Fall hinuter zur Urlaine.
Nach bangen Sekunden habe ich die Stelle hinter mir und fotografiere das gute Stück. Sieht jetzt gar nicht mehr so schlimm aus. Hoffentlich kommt nicht mehr davon.
Ein rosa Blitz überholt mich. Junge Frau mit rosa Shirt und Minirucksack, oder ist das ein Handtäschchen?! Dann kehrt wieder Ruhe ein.
Als ich aus dem Wald heraustrete, liegt das schuttige Kistenkar im Schatten vor mir. Nur gut, wenn man das nicht in der prallen Sonne absolvieren muss. Der rosa Blitz ist schon in der Mitte weit voraus. Der Weg durch das Kistenkar ist so wie jeder Weg, der durch Schutt, Geröll und lose Erde führt. Genußwander geht anders! Umkeheren ist jedoch auch keine Option mehr. "Also da musst Du durch."
Ich wurschtle mich weiter in die Höhe und bin nicht mehr weit entfernt von dem Punkt, wo der Schutt in einen kleinen Felsriegel übergeht. Da kommt mir auch schon der rosa Blitz wieder entgegen. Wir kommen ins Gespräch. Sie macht die Tour rund zweimal pro Jahr und ist auch sonst jedes Wochenende im Gebirge. Ich fühle mich alt und älter... "Von hier sind es nur noch fünf Minuten", sagt sie, schaut mich an und ergänzt: "Höchstens zehn."
Ich erwidere: "Also fünfzehn..."
Die Überwindung des Felsriegels ist das Erste, was heute so richtig Spaß macht. Meist I mit einem Hauch von II- ein neter scramble in the bavarian mountains... Und endlich ist die Scharte erreicht. Bis zum Gipfelkreuz der Hohen Kisten sind es jetzt tatsächlich nur noch 4:30 Minuten!
Es ist 0900B Uhr und die Gipfel von Karwendel und Wetterstein stecken bereits größtenteils in Cumulus-Wolken. Die Hohe Kisten war also die richtige Entscheidung für diesen Tag.
Für den Abstieg probiere ich den T4-Weg durch die steile SO-Flanke. Einige Boulder sind dabei zu überwinden, im Aufstieg sicher einfacher als im Abstieg. Insgesamt jedoch keine wirkliche Abkürzung, da ein Paar, das kurz nach mir vom Gipfel abgestiegen ist, gerade vor mir den hochoffiziellen Wanderweg passiert.
Eigentlich wollte ich die Runde mit einem Abstieg über das Zwölferköpfel abschließen. Da ich die Route jedoch nicht vollständig einsehen kann und das Garmin-Mäusekino keinen vernünftigen Überblick liefert, steige ich versehentlich über das Pustertal ab. Dann wird es eben wieder der Hahnbichelsteig. Ein langer und ermüdender Abstieg bei zunehmenden Temperaturen...
Als ich kurz nach 'high noon' wieder am Parkplatz stehen, sind auch die Gipfel des Estergebirges von Wolken verhüllt.
Es war genau die richtige Tour an diesem Tag!